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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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sie aber ins Haus, fröhlich, gleichgültig, derb daherschwatzend, brauchte er sich keineswegs anzustrengen, seine Spannung zu verbergen, da diese Frau, deren schallendes Gelächter die Tauben erschreckte, nichts mit der unsichtbaren Macht zu tun hatte, die ihn lehrte, nach innen zu atmen und die Schläge seines Herzens zu beherrschen, und die ihm zu verstehen gab, warum die Menschen vor dem Tode Angst hatten. Er war so in sich gekehrt, daß er nicht einmal die allgemeine Fröhlichkeit begriff, als sein Vater und sein Bruder das Haus mit der Nachricht erfreuten, es sei ihnen gelungen, die Metallhülle zu zerschlagen und damit Ursulas Gold loszulösen.
    Tatsächlich hatten sie es nach mehreren Tagen verwickelter, beharrlicher Arbeit fertiggebracht. Ursula war glücklich und dankte sogar Gott für die Erfindung der Alchimie, während die Dorfleute sich im Laboratorium drängten; sie bewirtete sie mit Goiyabapaste und Gebäck, um das Wunder zu feiern, und José Arcadio Buendía zeigte ihnen den Tiegel mit dem wiedergewonnenen Gold, als habe er es gerade erfunden. Vom vielen Vorzeigen stand er zu guter Letzt vor seinem ältesten Sohn, der in der letzten Zeit so gut wie nie im Laboratorium aufgetaucht war. Hielt ihm den trockenen, gelblichen Klumpen dicht vor die Augen und fragte: »Wie kommt dir das vor?« José Arcadio erwiderte ehrlich:
    »Wie Hundescheiße.«
    Sein Vater schlug ihm mit dem Handrücken so heftig auf den Mund, daß ihm das Blut kam und die Tränen. In jener Nacht legte Pilar Ternera ihm Arnikakompressen auf die Geschwulst, sie erriet in der Dunkelheit Fläschchen und Watte und tat alles, was er wünschte, ohne ihm zur Last zu fallen, um ihn zu lieben, ohne ihm weh zu tun. Dabei erreichten sie einen derartigen Zustand der Vertraulichkeit, daß sie einen Augenblick später, ohne es zu merken, im Flüsterton plauderten.
    »Ich möchte allein mit dir sein«, sagte er. »Eines Tages werde ich allen alles erzählen, und dann hat es mit den Heimlichkeiten ein Ende.«
    Sie suchte ihn nicht zu beschwichtigen.
    »Das wäre sehr gut«, sagte sie. »Wenn wir allein sein werden, wollen wir die Lampe angezündet lassen, damit wir uns gut sehen, damit ich alles herausschreien kann, was ich will, ohne daß sich jemand einmischt, und damit du mir alle Schweinereien ins Ohr sagen kannst, die dir einfallen.«
    Diese Unterhaltung, der nagende Groll, den er gegen seinen Vater empfand, und die bevorstehende Möglichkeit einer ungehemmten Liebe erweckten in ihm Gelassenheit und Mut. Unwillkürlich, ohne jede Vorbereitung, erzählte er es seinem Bruder. Zunächst begriff der kleine Aureliano nur das Ausmaß des Wagnisses, die ungeheure Möglichkeit der Gefahr, die das Abenteuer seines Bruders einschlossen, doch das Berauschende des Ziels ging ihm nicht ein. Doch nach und nach wurde er von der Begierde angesteckt. Er ließ sich die kleinsten Verhängnisse erzählen, erlebte die Leiden und Freuden des Bruders mit, fühlte mit ihm Bangigkeit und Glück. Hellwach wartete er auf ihn bis zum Morgengrauen in dem einsamen Bett, das einen glühenden Rost zu haben schien, und dann redeten sie schlaflos bis zur Stunde des Aufstehens, so daß sie bald an der gleichen Schläfrigkeit litten, die gleiche Verachtung für die Alchimie und die Weisheit ihres Vaters empfanden und sich gemeinsam in die Einsamkeit flüchteten. »Diese Jungen sind wie benebelt«, sagte Ursula. »Sie müssen Würmer haben.« Und sie braute ihnen einen widerwärtigen Absud aus gestampften Paicoblättern, den beide mit unvermutetem Gleichmut tranken, und beide setzten sich an einem einzigen Tag zu gleicher Zeit elfmal auf ihre Nachttöpfe und sonderten etliche rosige Schmarotzer ab, die sie frohlockend herumzeigten, weil diese es ihnen ermöglichten, Ursula über den Anlaß ihrer Zerstreutheit und ihrer Mattigkeit im dunkeln zu halten. Nun konnte Aureliano die Erfahrungen seines Bruders nicht nur verstehen, sondern sogar selbst durchleben, denn einmal, als dieser ihm den Mechanismus der Liebe in allen Einzelheiten erklärte, unterbrach er ihn mit der Frage: »Was fühlt man?« Und José Arcadio antwortete unverzüglich:
    »Es ist wie ein Erdbeben.«
    An einem Donnerstag im Januar gegen zwei Uhr morgens wurde Amaranta geboren. Bevor jemand ins Zimmer treten konnte, untersuchte Ursula sie bis ins kleinste. Sie war federleicht und wasserartig wie eine Mauereidechse, doch alle ihre Organe waren menschlich. Aureliano wurde sich der Neuheit erst bewußt, als sich das Haus

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