Hundert Jahre Einsamkeit
sicher, daß sie von einem Augenblick zum anderen tot umfallen würde, weil sie in jenen Tagen eine bestimmte Verwirrung in der Natur beobachtet hatte: Die Rosen rochen nach Gänsefuß, und wenn sie einen Topf mit Kichererbsen fallen ließ, blieben die Kerne in der vollkommenen geometrischen Ordnung von Seesternen unbeweglich auf dem Erdboden liegen, und eines Nachts sah sie eine Reihe leuchtender orangefarbener Scheiben am Himmel fliegen.
Am Gründonnerstagmorgen war sie tot. Als man ihr das letzte Mal um die Zeit der Bananengesellschaft beim Ausrechnen ihres Alters geholfen hatte, war sie zwischen hundertfünfzehn und hundertzwanzig Jahren alt gewesen. Sie wurde in einem Kästchen beerdigt, kaum größer als das Körbchen, in dem Aureliano gebracht worden war, und ganz wenige Leute wohnten der Beerdigung bei, teils weil nicht viele sich ihrer erinnerten, teils weil es an jenem Mittag so heiß war, daß die verstörten Vögel wie Schrotschüsse gegen die Mauern prallten und die Fliegenfenster durchstießen, um in den Schlafzimmern tot zu Boden zu fallen.
Anfangs glaubte man an eine Landplage. Die Hausfrauen erschöpften sich beim Zusammenfegen der vielen toten Vögel, zumal während der Mittagsruhe, und die Männer warfen sie karrenweise in den Fluß. Am Sonntag der Auferstehung behauptete der hundertjährige Pater Antonio Isabel auf der Kanzel, der Tod der Vögel sei eine Folge des schlechten Einflusses des Ewigen Juden, den er selber in der vergangenen Nacht gesehen habe. Er beschrieb ihn als eine Kreuzung aus Bock und Ketzerweib, als ein teuflisches Biest, dessen Atem die Luft ausdörrte und dessen Auftreten dazu führte, daß die neuvermählten Bräute Frühgeburten zur Welt brächten. Es waren nicht viele, die seiner apokalyptischen Predigt ihr Ohr liehen, weil das Volk überzeugt war, der Pfarrer fasele aus Altersschwäche. Doch eine Frau weckte am Mittwoch in aller Herrgottsfrühe das ganze Dorf, weil sie auf Spuren eines zweifüßigen Spalthufers gestoßen war. Und diese waren so deutlich, so unverkennbar, daß alle, die sie prüften, an der Existenz eines dem vom Pfarrer geschilderten ähnlichen schauerlichen Wesens keinen Zweifel mehr hegten und übereinkamen, in ihren Hinterhöfen Fallen aufzustellen. So gelang der Fang. Zwei Wochen nach Ursulas Tod wurden Aureliano Segundo und Petra Cotes von dem aus der Nachbarschaft herübertönenden Gejammer eines ungewöhnlich großen Kalbes unliebsam aus dem Schlaf geweckt. Als sie aufstanden, war bereits eine Gruppe Männer dabei, das Ungeheuer aus den in eine mit Laub bedeckte Grube eingerammten Staketen zu ziehen; außerdem brüllte es nicht mehr. Wiewohl nicht größer als ein Halbwüchsiger, hatte es das Gewicht eines Rindes; aus seinen Wunden floß grünliches, öliges Blut. Seinen Rumpf bedeckte ein rauhes, von kleinen Zecken übersätes Fell, und die Haut war durch eine Kruste von Saugfischen versteinert; doch im Gegensatz zu der Beschreibung des Pfarrers gehörten seine menschlichen Teile eher einem siechen Engel an als einem Menschen, weil die Hände zart und geschickt waren, die Augen groß und dämmrig; auch hafteten an den Schulterblättern vernarbte, hornhäutige Stummel mächtiger Flügel, die wohl mit einer Bauernhacke abgeschlagen worden waren. Sie hängten es mit den Fesseln an einem Mandelbaum des Dorfplatzes auf, damit jeder es sehen konnte; und als es zu verfaulen begann, verbrannten sie es auf einem Scheiterhaufen, weil nicht zu ermitteln war, ob es dank seiner Bastardnatur als Tier in den Fluß geworfen oder als Christ beerdigt zu werden verdiente. Es wurde nie festgestellt, ob tatsächlich seinetwegen die vielen Vögel starben, jedenfalls brachten weder die jungen Mütter Frühgeburten zur Welt, noch ließ die Hitze nach.
Rebeca starb gegen Ende des Jahres. Argénida, ihre lebenslängliche Dienerin, bat die Behörden um Hilfe, die Türe des Schlafzimmers einzustoßen, in dem ihre Herrin seit drei Tagen eingesperrt war, und man fand sie in dem einsamen Bett, eingeschnurrt wie eine Krabbe, den Kopf kahl vom Grind und den Daumen im Mund. Aureliano Segundo übernahm die Beerdigung und beabsichtigte, das Haus zum Verkauf wiederherzustellen, doch der Verfall war schon so weit fortgeschritten, daß die neugestrichenen Wände zerbröckelten, und kein Mörtel war fest genug, um zu verhindern, daß das Unkraut die Böden zermahlte und die Pfeiler durch den Efeu verfaulten.
So ging alles seit der Sintflut. Die Gleichgültigkeit der Menschen stand im
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