Hundert Jahre Einsamkeit
Fremde kommen und ihr Bettzeug in den Ecken ausbreiten und in die Rosenbüsche pissen, sie sollen sich an den Tisch setzen und essen, so viel sie wollen, sie sollen rülpsen und maulen und alles mit ihren Stiefeln versauen und mit uns machen, was ihnen einfällt, denn das ist die einzige Art und Weise, den Untergang zu verscheuchen.« Doch das war eitler Wahn. Sie war schon zu alt und hatte schon zu lange gelebt, als daß sie das Wunder mit den Karameltieren hätte wiederholen können, und keiner ihrer Nachkommen hatte ihre Stärke geerbt. So blieb das Haus auf Fernandas Befehl geschlossen.
Aureliano Segundo, der seine Truhen wieder in Petra Cotes' Haus befördert hatte, sorgte lediglich dafür, daß die Familie nicht Hungers starb. Mit dem Erlös der verlosten Mauleselin kauften Petra Cotes und er andere Tiere, mit deren Hilfe sie ein noch wackeliges Lotteriegeschäft auf die Beine stellten. Aureliano Segundo zog von Haus zu Haus und bot die kleinen Lose an, die er eigenhändig bunt bemalt hatte, um sie anziehender und überzeugender zu machen, ohne vielleicht dabei zu merken, daß viele aus Dankbarkeit, die meisten aber aus Mitleid kauften. Immerhin erwarben auch die gutmütigsten Käufer dabei das Recht, für zwanzig Centavos ein Schwein und für zweiunddreißig ein Kalb zu gewinnen, eine Aussicht, die sie so begeisterte, daß sie am Dienstagabend Petra Cotes' Innenhof in der Sekunde überschwemmten, als ein beliebig gewählter Junge das Gewinnlos aus der Tasche zog. Bald artete das Ganze zu einem Wochenmarkt aus, denn schon am Nachmittag stellten die Verkäufer von Schmalzgebackenem und Getränken ihre Tische und Buden im Innenhof auf, und viele der Gewinner opferten an Ort und Stelle das gewonnene Tier unter der Bedingung, daß andere für Musik und Schnaps aufkamen, so daß Aureliano Segundo sich unversehens wieder Akkordeon spielen und an bescheidenen Freßturnieren teilnehmen sah. Bei diesem schäbigen Abklatsch der einstigen Lustgelage entdeckte Aureliano Segundo jedoch nur, wie tief seine Lebensgeister gesunken waren, wie sehr ihn seine Begabung zum Meisterlebemann im Stich gelassen hatte. Er war wie ausgewechselt. Die einhundertzwanzig Kilo, die er einmal gewogen hatte, als er die Elefantin herausforderte, waren auf achtundsiebzig geschrumpft; sein einfältiges aufgeschwemmtes Schildkrötengesicht hatte sich zu einem Leguankonterfei gewandelt, und nun trieb er meist am Rand des Überdrusses und der Erschöpfung dahin. Für Petra Cotes indes war er mehr denn je der ideale Gatte, vielleicht weil sie das Mitleid, das er in ihr weckte, mit der Liebe verwechselte, vielleicht aber noch mehr mit der Solidarität, die das Elend in beiden geweckt hatte. Das zerfledderte Bett hörte auf, ein Lotterbett zu sein, und wurde zu einer Zufluchtstätte der Vertraulichkeiten. Befreit von ihren Lustspiegeln, die sie versteigert hatten, um Tombolatiere einkaufen zu können, sowie von der lüsternen Seiden- und Samtpracht, welche die Mauleselin verspeist hatte, blieben sie, unschuldig wie ein schlafloses Ahnenpaar, bis in die späte Nacht auf und nutzten die Zeit, die sie früher verbraucht hatten, um sich selbst zu verbrennen, damit, Kasse zu machen und ihre Centavos nutzbringend anzulegen. Mitunter überraschte sie der erste Hahnenschrei, während sie Münzenhäufchen ab- und auftrugen, da etwas wegnahmen und es dort hinzufügten, um mit dem einen Fernanda zu befriedigen, mit dem zweiten für Amaranta Ursula Schuhe zu kaufen, mit dem dritten Santa Sofía, die seit den Zeiten des großen Lärms nichts mehr anzuziehen hatte, ein neues Kleid zu erstehen, ein Häufchen zurückzulegen für einen Sarg für Ursula, sofern sie stürbe, ein zweites für den Kaffee, der alle drei Monate um einen Centavo fürs Pfund stieg, ein drittes für den Zucker, der immer weniger süßte, ein viertes für das Brennholz, das von der Sintflut noch immer feucht war, ein fünftes für Papier und bunte Tinte für die Lose, ein sechstes restliches Häufchen, um damit den Wert des Aprilkalbs zu tilgen, dessen Fell sie wunderbarerweise gerettet hatten, weil es in dem Augenblick, als fast alle Tombolalose verkauft waren, Anzeichen von Karbunkeln gezeigt hatte. Diese Armutsmessen waren von solcher Reinheit, daß die beiden Fernanda fast immer den besten Teil abtraten, und sie taten es nicht etwa aus Reue oder Nächstenliebe, sondern einfach, weil deren Wohlergehen ihnen mehr am Herzen lag als ihr eigenes. In Wirklichkeit, obgleich es keinem von ihnen
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