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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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auffiel, handelten sie so, weil sie an Fernanda wie an eine Tochter dachten, die sie gerne gehabt hätten und nie bekommen hatten, so daß sie einmal drei Tage lang auf ihren Maisbrei verzichteten, damit jene sich eine holländische Tischdecke kaufen konnte. Doch sie mochten sich bei ihrer Arbeit halbtot arbeiten, sie mochten noch soviel Geld auf die Seite legen und sich die unmöglichsten Kniffe ausdenken, ihre Schutzengel schliefen aus Übermüdung ein, während sie Münzen hin- und herschoben, um auch noch einen Zehrpfennig für ihr Leben herauszuwirtschaften. Und sie fragten sich in ihrer Schlaflosigkeit, die ihnen ihr armseliges Guthaben einbrachte, was in aller Welt geschehen war, daß die Tiere nicht mehr so hemmungslos warfen wie einst, warum das Geld ihnen unter den Händen zerrann und warum Leute, die bis dahin ganze Haufen Geldscheine für Ausschweifungen verschleudert hatten, es für einen Raubüberfall auf eine Einöde ansahen, wenn man ihnen zwölf Centavos für die Verlosung von sechs Hühnern abverlangte. Aureliano Segundo dachte, ohne es auszusprechen, daß das Übel nicht etwa in der Welt sei, sondern in einem verborgenen Winkel von Petra Cotes' geheimnisvollem Herzen, wo während der Sintflut etwas geschehen sein mußte, das die Tiere unfruchtbar und das Geld flüchtig machte. Von diesem Rätsel geplagt, drang er so tief in ihr Gefühlsleben ein, daß er auf der Suche nach seinen Interessen die Liebe fand, weil er im Bemühen, ihre Liebe zu gewinnen, sie zu lieben begann. Petra Cotes ihrerseits gewann ihn desto lieber, je mehr sie seine Zuneigung wachsen fühlte, und so kam es, daß sie in der Fülle des Herbstes wieder an den jugendlichen Aberglauben glaubte, die Armut sei eine Hörigkeit der Liebe. Nun sahen sie in den sinnlosen Ausschweifungen, dem übertriebenen Luxus und der unbändigen Unzucht von einst nur Hindernisse und beklagten, wieviel Leben es sie gekostet hatte, das Paradies der geteilten Einsamkeit zu entdecken. Nach so vielen Jahren der unfruchtbaren Komplicität wahnsinnig verliebt, genossen sie das Wunder, sich am Tisch ebenso zu lieben wie im Bett, und wurden so glücklich, daß sie noch als müde alte Leutchen sich wie Kaninchen neckten und wie junge Hunde balgten.
    Die Tombolas brachten nie viel ein. Anfangs vergrub Aureliano Segundo sich drei Tage der Woche zum Entwerfen all der Lose in seinem alten Viehzüchterbüro, wobei er je nach dem zu verlosenden Tier ganz geschickt ein rotes Kühlein, ein grünes Schweinchen oder eine Schar blauer Hühnchen malte und in gut nachgeahmter Zeitungsschrift den Namen zeichnete, den Petra Cotes sich für das Geschäft ausgedacht hatte, etwa: Tombola der Göttlichen Vorsehung . Doch mit der Zeit ermüdete ihn das Zeichnen der nahezu zweitausend Lose pro Woche so sehr, daß er Tiere, Namen und Zahlen in Gummistempel ritzen ließ, und nun brauchte er diese nur noch in bunte Stempelkissen zu drücken. In seinen letzten Jahren kam er auf die Idee, die Zahlen durch Rätsel zu ersetzen, so daß der Preis unter alle, die es errieten, aufgeteilt wurde, doch das System erwies sich als derartig verwickelt und gab Anlaß zu so viel Argwohn, daß sie es nach dem zweiten Versuch aufgaben.
    Aureliano Segundo war so erpicht, den Ruf seiner Lotterien zu heben, daß ihm kaum Zeit blieb, die Kinder zu sehen. Fernanda steckte Amaranta Ursula in eine kleine Privatschule, die nicht mehr als sechs Schülerinnen aufnahm, weigerte sich aber, Aureliano in die öffentliche Schule zu schicken. Sie glaubte schon genug getan zu haben, als sie erlaubte, daß er sein Zimmer verließ. Überdies wurden zu jener Zeit nur rechtmäßige Kinder katholischer Ehen angenommen, und in der Geburtsurkunde, die mit einer Sicherheitsnadel an Aurelianos Kleidchen festgeheftet war, als er ins Haus gebracht wurde, war er als Findelkind bezeichnet. So blieb er denn eingesperrt, hing einmal von Santa Sofías von der Frömmigkeit Obhut, zum zweiten von Ursulas geistigen Unterweisungen ab und entdeckte auf diese Weise die enge Welt des Hauses — den Erläuterungen der Großmütter gemäß. Er war zart, schlank, von einer Neugierde, welche die Erwachsenen aus der Fassung brachte; doch im Gegensatz zu dem forschenden und bisweilen hellsichtigen Blick, den der Oberst in seinem Alter gehabt hatte, war der seine flatternd und ein wenig zerstreut. Während Amaranta Ursula in ihrer Kinderschule war, jagte er im Garten Würmer und quälte Insekten. Doch einmal, als Fernanda ihn dabei ertappte, als er

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