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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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Schinken und Mixed Pickles, und die leerstehende Speicherkammer diente wieder dazu, Weine und Liköre aufzunehmen, die José Arcadio in zahlreichen, mit seinem Namen beschrifteten Kisten vom Bahnhof abholte. Eines Abends veranstalteten er und die vier älteren Knaben ein Fest, das sich bis in die Morgenstunden hinzog. Um sechs Uhr in der Frühe kamen sie nackt aus dem Schlafzimmer, ließen die Zisterne ablaufen und füllten sie mit Champagner. Sie tauchten im Chor unter und schwammen dann wie Vögel, die in einem sprudelnd-duftenden Goldhimmel umherflattern, während José Arcadio am Rande der Festlichkeit auf dem Rücken schwamm und sich mit offenen Augen Amaranta zurückrief. So verharrte er in sich gekehrt und käute die Bitternis seiner fragwürdigen Freuden wieder, bis die müde gewordenen Knaben sich im Rudel ins Schlafzimmer verfügten, wo sie die Samtvorhänge herunterrissen, um sich darin abzutrocknen, frohlockend den Spiegel aus Bergkristall zersplitterten und im Bemühen, sich möglichst ungestüm schlafen zu legen, den Baldachin in Stücke schlugen. Als José Arcadio aus dem Badezimmer zurückkehrte, fand er sie nackt durcheinander liegend im verwüsteten Alkoven schlafen. Weniger aufgebracht über den angerichteten Schaden als über das Selbstmitleid und den Selbstekel, die ihn in der trostlosen Leere der Saturnalien befielen, bewaffnete er sich mit etlichen Geißeln eines hündischen Kirchenvogts, die er in der Tiefe seiner Truhe verwahrte, außerdem mit einem Büßerhemd und anderen Züchtigungs- und Kasteiungswerkzeugen, trieb die Jungen aus dem Haus, brüllte wie ein Wahnsinniger und peitschte sie erbarmungsloser, als er es mit einem Rudel Kojoten getan hätte. Vernichtet blieb er auf der Strecke, überdies hart mitgenommen von einem Asthmaanfall, der sich mehrere Tage hinzog und ihm das Aussehen eines Todkranken verlieh. In der dritten Marternacht schleppte er sich halb erstickt in Aurelianos Zimmer und bat ihn, ihm doch in der nächsten Apotheke Pulver zum Inhalieren zu besorgen. So kam es zu Aurelianos zweitem Ausgang. Er brauchte nur zwei Blocks weit zu gehen, um zu der kleinen Apotheke mit ihren staubigen Schaufenstern und lateinbeschrifteten Porzellanflakons zu gelangen, wo ein junges Mädchen mit der schweigsamen Schönheit einer Schlange vom Nil das Medikament mischte, das José Arcadio ihm auf einen Zettel geschrieben hatte. Der zweite Anblick des verlassenen, nur von den trüben Straßenlampen beleuchteten Dorfs weckte in Aureliano kaum mehr Neugierde als das erste Mal. José Arcadio hatte schon gedacht, er sei geflohen, als er ihn doch wieder auftauchen sah, vor Eile leicht außer Atem und mit schleppenden Beinen, die durch das klösterliche Leben und den Mangel an Bewegung geschwächt und eingerostet waren. Seine Gleichgültigkeit gegen die Welt war so vollkommen, daß José Arcadio wenige Tage darauf sein der Mutter gegebenes Versprechen brach und ihm die Erlaubnis erteilte, beliebig auszugehen.
    »Ich habe nichts auf der Straße zu tun«, erwiderte Aureliano.
    Er blieb in seiner Klausur, vertieft in die Pergamente, die er zwar nach und nach enträtselte, deren Sinn er indes nicht zu deuten verstand. José Arcadio brachte ihm Schinken in Scheiben, kandierte Blumen, die im Mund einen Frühlingsgeschmack hinterließen, und bei zwei Gelegenheiten ein Glas guten Weins. Er interessierte sich nicht für die Pergamente, die er eher für eine esoterische Beschäftigung hielt, doch fiel ihm die seltene Weisheit und die unerklärliche Weltkenntnis auf, die der vereinsamte Verwandte besaß. Nun erfuhr er, daß er geschriebenes Englisch verstand und zwischen einem Pergament und dem nächsten die sechs Bände der Enzyklopädie von der ersten bis zur letzten Seite wie einen Roman gelesen hatte. Darauf führte er zunächst zurück, daß Aureliano von Rom sprechen konnte, als habe er dort viele Jahre gelebt, doch bald merkte er, daß er Kenntnisse besaß, die keineswegs enzyklopädisch waren, wie etwa Preise von Gegenständen. »Man weiß alles«, war die einzige Antwort, die er von Aureliano erhielt, als er fragte, wie er diese Auskünfte erworben habe. Aureliano seinerseits wunderte sich, daß José Arcadio, nahe besehen, so sehr abstach von dem Bild, das er sich von ihm gemacht hatte, als er ihn durchs Haus wandern sah. Er war imstande zu lächeln, sich dann und wann Sehnsucht nach der Vergangenheit des Hauses zu gestatten und sich um die jämmerliche Verfassung von Melchíades' Kammer Sorgen zu

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