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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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sieht, daß hier eine Frau fehlt.«
    Das Gepäck fand kaum Platz in der Veranda. Außer Fernandas uralter Truhe, mit der sie ins Internat geschickt worden war, brachte sie zwei Schrankkoffer mit, vier große Handkoffer, ein Futteral für Sonnenschirme, acht Hutschachteln, einen Riesenkäfig mit einem halben Hundert Kanarienvögel und das wie in einem Violoncellokasten tragbare zusammenklappbare Fahrrad ihres Gatten. Nach der langen Reise gönnte sie sich nicht einen Ruhetag. Sie streifte einen abgetragenen Overall über, den ihr Mann neben anderen Monteurkleidern mitgebracht hatte, und setzte eine neue Restauration des Hauses ins Werk. Sie schlug die bunten Ameisen in die Flucht, die die Veranda besetzt hatten, rief die Rosensträucher zu neuem Leben, riß das Unkraut mit der Wurzel aus und säte wieder Farne, Oregano und Begonien in den Töpfen der Balustrade. Sie stellte sich an die Spitze eines Trupps von Schreinern, Schlossern und Maurern, welche die Risse in den Böden flickten, die neue Türen und Fenster in die Angeln hängten, die Möbel erneuerten sowie Mauern und Wände weißten, so daß man drei Monate nach ihrer Ankunft wieder die jugendlich-festliche Luft einatmen konnte, die zur Zeit des Pianolas geweht hatte. Nie hatte man zu jeder Stunde und Gelegenheit im Hause bessere Laune gesehen, nie größere Lust zum Singen und Tanzen, nie eilfertigere Bereitschaft, ausgediente Gegenstände und Gewohnheiten in den Müll zu werfen. Mit einem Besenschwung machte sie Schluß mit den grabseligen Erinnerungen und der Unmenge von Plunder in den Winkeln, und das einzige, was sie aus Dankbarkeit gegen Ursula bewahrte, war Remedios' Daguerreotyp im Wohnzimmer. »Schaut, was für ein Luxus«, schrie sie halbtot vor Lachen. »Eine vierzehnjährige Urgroßmutter!« Als einer der Maurer ihr berichtete, das Haus sei bevölkert mit Gespenstern, und das einzige Mittel, sie zu verscheuchen, sei, die im Haus vergrabenen Schätze zu suchen, erwiderte sie unter Gelächter, sie glaube nicht an männlichen Aberglauben. Sie gab sich so zwanglos, so aufgeweckt, so freimütig und fortgeschritten, daß Aureliano, als er sie auf sich zukommen sah, nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. »Was für ein Schreckgespenst!« schrie sie glücklich und breitete die Arme aus. »Schaut, wie groß mein angebeteter Menschenfresser geworden ist!« Bevor er sich wehren konnte, hatte sie eine Platte auf ihr mitgebrachtes Reisegrammophon gelegt und gab sich Mühe, ihm die neuesten Tänze beizubringen. Sie zwang ihn, seine von Oberst Aureliano Buendía geerbten schmutzigen Hosen auszuziehen, schenkte ihm jugendliche Hemden und zweifarbige Schuhe und schubste ihn auf die Straße hinaus, wenn er ihr allzulang in Melchíades' Kammer hockte.
    Tätig, genau, unbezähmbar wie Ursula und fast so schön und herausfordernd wie Remedios die Schöne, besaß sie die seltene Gabe, Modisches vorwegzunehmen.
    Wenn sie mit der Post die neuesten Schnitte erhielt, dienten diese ihr nur zu der Feststellung, daß sie sich in der Erfindung neuer Modelle, die sie auf Amarantas vorsintflutlicher Handkurbelnähmaschine nähte, nicht getäuscht hatte. Sie war auf alles abonniert, was in Europa an Modejournalen und Zeitschriften der Kunst und Volksmusik herauskam, und brauchte nur einen Blick hineinzuwerfen, um sich davon zu überzeugen, daß es in der Welt so zuging, wie sie es sich vorgestellt hatte. Es war kaum zu begreifen, daß eine so veranlagte Frau in ein von Staub und Hitze geschlagenes Dorf zurückkehrte und dazu noch mit einem Gatten, der begütert genug war, im irgendwo in der Welt zu leben, der sie überdies so vergötterte, daß er sich von ihr an einem Seidenband spazierenführen ließ. Je länger sie übrigens da waren, desto offensichtlicher wurde ihre Absicht, dazubleiben, da sie nur Pläne auf lange Sicht machte und nur Entschlüsse faßte, die auf ein bequemes Leben und ein ruhiges Alter in Macondo abzielten. Der Vogelkäfig bewies, daß es sich nicht um Stegreifprojekte handelte. Eines Briefes ihrer Mutter gedenkend, in dem von der Ausrottung der Vögel die Rede war, hatte sie ihre Rückreise um mehrere Monate verschoben, bis sie ein Schiff gefunden hatte, das auf den Inseln der Seligen anlegte, und dort wählte sie die fünfundzwanzig Pärchen der schönsten Kanarienvögel aus, um Macondos Himmel neu zu bevölkern. Das sollte die beklagenswerteste ihrer zahlreichen gescheiterten Unternehmungen werden. Je mehr die Vögel sich vermehrten, desto häufiger

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