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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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machen. Die Annäherung zwischen den beiden Einsiedlerkrebsen gleichen Geblüts war weit entfernt von Freundschaft, erlaubte ihnen jedoch die unergründliche Einsamkeit zu überwinden, die sie trennte und zugleich verband. Nun konnte José Arcadio auf Aureliano zurückgreifen, um bestimmte häusliche Probleme zu entwirren, die ihn aufbrachten. Aureliano seinerseits konnte sich in die Veranda setzen und dort Amaranta Ursulas Briefe lesen, die mit gleichbleibender Pünktlichkeit eintrafen, und das Bad benutzen, aus dem José Arcadio ihn seit seiner Ankunft vertrieben hatte.
    Eines heißen Morgengrauens erwachten beide, aufgestört von heftigem Pochen an der Haustür. Es war ein dunkelhäutiger Greis mit großen, grünen Augen, die seinem Gesicht ein gespenstisches Schillern verliehen, sowie mit einem Aschenkreuz auf der Stirn. Seine zerfetzten Kleider, seine zerrissenen Schuhe, der alte Knappsack, den er als einziges Gepäck auf der Schulter trug, stempelten ihn zum Bettler, doch sein Gebaren war von einer Würde, die im deutlichen Gegensatz zu seinem Aussehen stand. Man brauchte selbst im Dämmer des Wohnzimmers nur einen Blick auf ihn zu werfen, um zu gewahren, daß die geheime Kraft, die ihm Leben lieh, nicht etwa Selbsterhaltungstrieb war, sondern die Gewohnheit der Angst. Es war Aureliano Amador, der einzige Überlebende der siebzehn Söhne des Obersten Aureliano Buendía, der eine Raststätte in seinem langen, gefahrvollen Flüchtlingsdasein suchte. Er gab sich zu erkennen, bat, man möge ihm Obdach gewähren in dem Haus, das er sich in seinen Parianächten als den letzten, ihm im Leben verbliebenen Hafen der Sicherheit ins Gedächtnis gerufen hatte. Doch José Arcadio und Aureliano vermochten sich nicht auf ihn zu besinnen. Im Glauben, einen Landstreicher vor sich zu haben, warfen sie ihn mit Puffen auf die Straße. Und nun erlebten die beiden vor der Tür den letzten Akt eines Dramas, das lange vor José Arcadios geistiger Reife begonnen hatte. Zwei Polizisten, die Aureliano Amador jahrelang verfolgt, die ihn wie Schweißhunde durch die halbe Welt gehetzt hatten, tauchten zwischen den Mandelbäumen des gegenüberliegenden Gehsteigs auf und gaben mit ihren Mausern zwei Schüsse ab, die ihn genau im Aschenkreuz trafen.
    In Wirklichkeit wartete José Arcadio seit der Vertreibung der Knaben aus dem Haus auf Nachrichten von einem Überseedampfer, der vor Weihnachten nach Neapel ausgelaufen war. Er hatte nämlich Aureliano von seinem Plan gesprochen, sich ein Geschäft einzurichten, von dem er leben könne, da der Lebensmittelkorb seit Fernandas Beerdigung ausgeblieben war. Doch auch dieser letzte Traum sollte keine Wirklichkeit werden. Denn eines Septembermorgens, nachdem er mit Aureliano Kaffee in der Küche getrunken hatte, beendete José Arcadio gerade sein tägliches Bad, als durch die Spalten der Dachplatten die aus dem Hause gescheuchten vier Jungen einbrachen. Ohne ihm Zeit zur Verteidigung zu lassen, sprangen sie angezogen in die Zisterne, packten ihn am Haar und drückten seinen Kopf unter Wasser, bis das Gesprudel seines Todeskampfes unter der Oberfläche verebbte und der stille bleiche Körper des Thronfolgers in die duftenden Wassertiefen sank. Dann holten sie die drei Säcke mit Gold, deren Versteck nur sie und ihr Opfer kannten. Ihre Aktion war so rasch, methodisch und brutal, daß sie einem militärischen Überfall glich. Der in seiner Kammer eingeschlossene Aureliano merkte nichts. Als er José Arcadio an jenem Nachmittag in der Küche vermißte, suchte er ihn im ganzen Haus und fand ihn in den duftenden Spiegeln der Wanne schwimmen, riesig und gebläht und noch immer an Amaranta denkend. Erst jetzt begriff er, wie sehr er ihn zu lieben begonnen hatte.
     

 
     
     
     
     
     
    Getrieben von Segelwinden, den Gatten an einer um den Hals geschlungenen Seidenschnur führend, kehrte Amaranta Ursula mit den ersten Dezemberengeln zurück. Sie kam ohne Vorankündigung in einem elfenbeinfarbenen Kleid, einem Perlenhalsband, das fast bis zu ihren Knien reichte, Smaragd- und Topasringen an den Fingern, das kurze, glatte Haar in Schwalbenschwänzen um die Ohren gelegt. Der Mann, den sie vor sechs Monaten geheiratet hatte, war ein reifer, schlanker Flame mit dem Aussehen eines Seefahrers. Sie brauchte nur die Tür zum Wohnzimmer aufzustoßen, um zu begreifen, daß ihre Abwesenheit länger und verheerender gewesen war, als sie vermutet hatte.
    »Mein Gott«, schrie sie eher fröhlich als bestürzt. »Man

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