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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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auf den Aeroplan eine Posse sei. Nun dachte er, Gaston sei nicht so töricht, wie er wirkte, sondern im Gegenteil ein Mensch von unendlicher Beständigkeit, Geschicklichkeit und Geduld, der sich vorgenommen habe, seine Frau durch die Ermüdung ewiger Gefälligkeit, des Nie-Nein-Sagens, des Heuchelns eines grenzenlosen Einverständnisses zu gewinnen und dadurch, daß er sie ihr eigenes Spinnetz weben ließ bis zu dem Tag, da sie die Langeweile der in Reichweite gerückten Illusionen nicht mehr ertragen und selbst ihre Koffer packen würde, um nach Europa zurückzukehren. So verkehrte sich Aurelianos früheres Mitleid in heftige Feindseligkeit. Gastons System kam ihm ebenso verderbt wie wirksam vor, so daß er sich ein Herz nahm und Amaranta Ursula warnte. Doch sie lachte über seinen Verdacht, ohne darin auch nur von Ferne die herzzerreißende Last der Liebe, der Ungewißheit und der Eifersucht zu ahnen. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, daß sie in Aureliano mehr als brüderliche Zuneigung geweckt hatte, bis sie sich beim Öffnen einer Büchse Pfirsiche in den Finger stach, er auf sie zustürzte und ihr das Blut mit Begierde und Hingabe saugte, was ihr eine Gänsehaut verursachte.
    »Aureliano!« lachte sie nervös. »Du bist zu bösartig, um eine gute Fledermaus zu sein.«
    Nun ging Aureliano das Herz über. Während er in die verletzte Handfläche Waisenküßchen drückte, öffnete er die geheimsten Kanäle seines Herzens und zog einen endlosen zermürbten Bandwurm hervor, jenes schreckliche Schmarotzertier, das er im Martyrium ausgebrütet hatte. Er erzählte ihr, wie er um Mitternacht aufstand und vor Trostlosigkeit und Wut in ihre Unterwäsche weinte, die sie zum Trocknen im Badezimmer ließ. Er erzählte ihr, mit welcher Ungeduld er Nigromanta bat, sie solle wie eine Katze miauen und ihm Gaston Gaston Gaston ins Ohr schluchzen, und mit welcher List er ihr Parfümfläschchen stibitzte, um sie am Hals der kleinen Dirnen wiederzufinden, die aus Hunger mit Männern schliefen. Amaranta Ursula zog ihre Finger wie eine Molluske zusammen, bis ihre verletzte Hand, von jedem Schmerz und von jeder Spur des Mitleids befreit, sich in einen Knoten aus Smaragden und Topasen, aus vereinten, unempfindlichen Knochen verwandelte.
    »Dummkopf!« stieß sie wie spuckend hervor. »Ich fahre mit dem ersten Schiff nach Belgien.«
    An einem jener Nachmittage war Alvaro in die Buchhandlung des katalanischen Weisen gekommen und hatte lauthals seine letzte Erfindung verkündet: ein zoologisches Bordell. Es hieß Das goldene Kind und war ein riesiger Saal unter freiem Himmel, in dem nicht weniger als zweihundert Rohrdommeln beliebig umherspazierten und mit ohrenbetäubendem Gekrächz die Stunden des Tages ausposaunten. In den die Tanzfläche säumenden Drahtzaunkorralen und zwischen großen amazonischen Kamelien gab es farbige Reiher, schweinsfette Kaimane, Schlangen mit zwölf Klappern und eine Schildkröte mit goldenem Schild, die in einem winzigen künstlichen Ozean Tauchen spielte. Auch ein zahmer, homophiler weißer Hund war da, der sich gegen Nahrungsleistungen auch als Beschäler verdingte. Die Luft war von einfältiger Dichtigkeit, als sei sie eben erst erfunden worden, und die schönen Mulattinnen, die hoffnungslos zwischen blutenden Blütenblättern und veralteten Schallplatten warteten, kannten Liebesdienste, die der Mensch im irdischen Paradies vergessen hatte. An dem ersten Abend, als die Gruppe diese Baumschule der Illusionen besuchte, fühlte die prachtvolle, wortkarge Greisin, die in einem Rohrschaukelstuhl am Eingang saß, daß die Zeit zu ihren ursprünglichen Quellen zurückkehrte, als sie unter den fünf Eintretenden einen knochigen, trübsinnigen, tatarwangigen Menschen entdeckte, der für immer und seit Anbeginn der Welt von den Blattern der Einsamkeit gezeichnet war.
    »Ach«, seufzte sie, »Aureliano!«
    Wieder sah sie den Oberst Aureliano Buendía, wie sie ihn im Lampenlicht lange vor den Kriegen gesehen hatte, lange vor der Trostlosigkeit des Ruhms und der Verbannung der Enttäuschung, an jenem fernen Morgengrauen, als er in ihr Schlafzimmer gekommen war, um den ersten Befehl seines Lebens zu erteilen: den Befehl, man solle ihm Liebe geben. Es war Pilar Ternera. Jahre zuvor, bei Erreichung ihres einhundertundfünfundvierzigsten Lebensjahres, hatte sie die schädliche Gewohnheit abgelegt, ihr Alter zu zählen, und lebte nunmehr in der stillstehenden Randzeit der Erinnerungen, in einer vollständig offenbarten,

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