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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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verstand. Seit seiner Ankunft verriegelte sie nachts ihr Zimmer, doch dann hörte sie sein friedliches Schnarchen im Nebenzimmer so viele Nächte hindurch, daß sie diese Vorsicht schließlich aufgab. Eines Morgengrauens, fast zwei Monate nach seiner Rückkehr, fühlte sie, wie er in ihr Schlafzimmer hereingeschlichen kam. Statt zu fliehen, statt zu schreien, wie sie beabsichtigt hatte, ließ sie sich von einem sanften Gefühl der Erleichterung durchdringen. Sie spürte, wie er unter ihr Moskitonetz glitt, wie er es als Kind getan, wie er es schon immer getan hatte, und sie konnte nicht den eiskalten Schweiß und das Knirschen ihrer Zähne vermeiden, als sie merkte, daß er splitternackt war. »Geh«, flüsterte sie, von Neugier erstickt. »Geh, oder ich schreie.« Doch Aureliano José wußte, was er zu tun hatte, weil er kein von der Finsternis verschreckter kleiner Junge mehr war, sondern ein altgedientes Frontschwein. Von jener Nacht an begannen wieder die dumpfen, ergebnislosen Kämpfe, die bis zum Tagesanbruch anhielten. »Ich bin deine Tante«, murmelte Amaranta erschöpft. »Ich könnte sogar fast deine Mutter sein, nicht nur dem Alter nach, sondern auch weil mir dann nur gefehlt hat, dich nicht gestillt zu haben.« Aureliano schlich bei Tagesanbruch hinaus und kehrte im nächsten Morgengrauen zurück, immer erregter über die Feststellung, daß ihr Zimmer nicht verriegelt war. Er hatte keinen Augenblick aufgehört, sie zu begehren. Er hatte sich mit ihr in den dunklen Schlafzimmern der besiegten Dörfer getroffen, vor allem in den verkommensten, und fand sie im Geruch von geronnenem Blut der verbundenen Kriegsverletzten wieder, in der unaufhörlichen Angst vor der Todesgefahr, zu jeder Stunde und allerorten. Er war vor ihr geflohen in dem Versuch, seine Erinnerung nicht nur durch die Entfernung abzutöten, sondern durch einen wütenden Kampfeseifer, den seine Waffengenossen als Tollkühnheit bezeichneten, doch je länger er ihr Bild durch die Mistgrube des Krieges schleifte, desto deutlicher glich der Krieg Amaranta. Er litt so sehr unter seiner Verbannung, daß er so lange die Gelegenheit suchte, wo er sie mit seinem eigenen Tod töten könnte, bis jemand ihm die alte Geschichte von dem Mann erzählte, der seine eigene Tante heiratete, die überdies seine Kusine war und deren Sohn sein eigener Großvater wurde. »Kann man denn seine eigene Tante heiraten?« fragte er. »Man kann es nicht nur«, erwiderte ein Soldat, »sondern wir führen diesen Krieg gegen die Pfaffen, damit einer seine eigene Mutter heiraten kann.«
    Vierzehn Tage später desertierte er. Er fand Amaranta verblühter als in seiner Erinnerung, melancholischer und verschämter; in Wirklichkeit bog sie bereits um das letzte Kap der Reife, war dafür aber fiebriger denn je im Dunkel des Schlafzimmers und herausfordernder denn je in der Angriffslust ihres Widerstands. »Du bist ein Tier«, sagte Amaranta zu ihm, bedrängt von seiner Jagdmeute. »So darf man eine arme Tante nicht behandeln, es sei denn mit besonderer Erlaubnis des Papstes.« Aureliano José versprach, nach Rom zu reisen, er versprach, durch ganz Europa auf Knien zu rutschen und die Sandalen des höchsten Kirchenfürsten zu küssen, nur damit sie ihre Zugbrücke herabließ.
    »Es geht nicht nur darum«, warf Amaranta ein. »Es geht darum, daß die Kinder mit Schweineschwänzen zur Welt kommen.«
    Aureliano José war taub für jede Beweisführung.
    »Und wenn auch Gürteltiere geboren werden«, flehte er.
    Eines Morgengrauens, bezwungen vom unerträglichen Schmerz verdrängter Manneskraft, ging er in Catarinos Butike. Dort traf er eine Frau mit schlaffen Brüsten, doch liebevoll und billig, die seine Gelüste eine Zeitlang befriedigte. Nun versuchte er es bei Amaranta mit Verachtung. Sah er sie in der Veranda an ihrer handbetriebenen Nähmaschine, die sie mit bewundernswürdiger Geschicklichkeit zu bedienen gelernt hatte, richtete er nicht einmal das Wort an sie. Amaranta fühlte sich von einer Zentnerlast befreit, und sie selbst begriff nicht, warum sie plötzlich wieder an Oberst Gerineldo Márquez dachte, warum sie sich mit solcher Sehnsucht die Nachmittage beim Damespiel ins Gedächtnis zurückrief, warum sie ihn sogar als Mann im Schlafzimmer zu begehren begann. In der Nacht, in der er die Posse der Gleichgültigkeit nicht mehr aushalten konnte und wieder in Amarantas Zimmer schlich, ahnte José Aureliano nicht, wieviel Gelände er bereits verloren hatte. Mit

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