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Hundert Jahre Einsamkeit

Hundert Jahre Einsamkeit

Titel: Hundert Jahre Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Garcia Marquez
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des Erschossenen, der stehenblieb, während sein Hemd sich mit Blut tränkte, und der noch immer lächelte, als man ihn vom Pfahl losband und in eine kalkgefüllte Kiste warf. Er lebt, dachte er. Sie werden ihn lebend begraben. Er war so beeindruckt, daß er fortan militärisches Gebaren und den Krieg haßte, nicht wegen der Erschießungen, sondern wegen der entsetzlichen Gewohnheit, die Erschossenen lebend zu begraben. Niemand wußte genau, wann er begann, die Kirchenglocken zu läuten, Pater Antonio Isabel bei der Messe zu helfen, dem Nachfolger von El Cachorro, und Kampfhähne im Innenhof des Pfarrhauses zu züchten. Als Oberst Gerineldo Márquez es erfuhr, schalt er ihn heftig, daß er Berufe lernte, die Liberale ablehnten. »Ich habe nämlich das Gefühl«, antwortete er, »ein Konservativer geworden zu sein.« Er hielt das für eine Entscheidung des Schicksals. Empört erzählte Oberst Gerineldo Márquez Ursula den Vorfall.
    »Um so besser«, stimmte sie zu. »Hoffentlich wird er Priester, damit endlich Gott in dieses Haus einzieht.«
    Bald erfuhr man, daß Pater Antonio Isabel ihn für die erste Kommunion vorbereitete. Er lehrte ihn den Katechismus, während er den Hähnen den Hals rasierte. Erklärte ihm, während sie die Gluckhennen in die Nester setzten, an einfachen Beispielen, wie es Gott am zweiten Tag der Schöpfung eingefallen sei, die Küken im Ei entstehen zu lassen. Von da an zeigte der Pfarrer die ersten Zeichen des Alterswahns, der ihn Jahre später zu dem Ausspruch verleiten sollte, vermutlich habe der Teufel die Rebellion gegen Gott gewonnen und säße nun auf dem himmlischen Thron, ohne seinen wahren Namen zu offenbaren, um die Unvorsichtigen einzufangen. Von der Kühnheit seines Lehrers angestachelt, war José Arcadio Segundo nach wenigen Monaten in theologischen Spitzfindigkeiten ebenso bewandert, um den Teufel aus dem Konzept zu bringen, wie geschickt in den Kunstgriffen bei Hahnenkämpfen. Amaranta schneiderte ihm einen Leinenanzug mit Kragen und Krawatte, kaufte ihm ein Paar weiße Stiefel und stickte seinen Namen in goldenen Lettern auf die Kerzenschleife. Zwei Nächte vor der ersten Kommunion schloß Pater Antonio Isabel sich mit ihm in der Sakristei ein, um ihm mit Hilfe eines Sündenwörterbuchs die Beichte abzunehmen. Es war eine so lange Liste, daß der greise Pfarrer, gewöhnt, sich um sechs Uhr schlafen zu legen, vor Beendigung der Prozedur auf seinem Stuhl einschlief. Das Verhör war für José Arcadio Segundo eine Offenbarung. Es überraschte ihn nicht, daß der Pater fragte, ob er böse Dinge mit Frauen getrieben habe, worauf er ein ehrliches Nein antwortete, doch befremdete ihn die Frage, ob er es mit Tieren getrieben habe. Am ersten Freitag im Mai beichtete er von Neugierde gequält. Später stellte er die Frage Petronio, dem kranken Sakristan, der im Turm wohnte und sich angeblich von Fledermäusen ernährte, und Petronio antwortete: »Es gibt nämlich verderbte Christen, die es mit den Mauleselinnen treiben.« José Arcadio Segundo zeigte eine so heißhungrige Neugierde und erbat so viele Erklärungen, daß Petronio die Geduld verlor.
    »Ich gehe jeden Dienstagabend«, bekannte er. »Wenn du mir versprichst, es niemand zu sagen, nehme ich dich nächsten Dienstag mit.«
    Am nächsten Dienstag stieg Petronio tatsächlich vom Turm herunter mit einem Holzbänkchen, dessen Verwendung bisher niemand gekannt hatte, und nahm José Arcadio Segundo in einen nahe gelegenen Gemüsegarten mit. Der junge Mann fand so viel Gefallen an diesen nächtlichen Ausflügen, daß lange Zeit verging, bevor er in Catarinos Butike gesehen wurde. Er wurde ein Mann der Hähne. »Nimm diese Tiere gefälligst woanders hin«, befahl Ursula, als sie ihn das erste Mal mit seinen edlen Kampftieren hereinkommen sah. »Die Hähne haben schon zuviel Kummer in dieses Haus gebracht, als daß du uns neuen bereiten dürftest.« José Arcadio Segundo trug sie ohne Widerrede weg, zog sie aber fortan bei Pilar Ternera, seiner Großmutter, auf, die ihm alles Benötigte zur Verfügung stellte, solange sie ihn bei sich haben konnte. Und schon zeigte er beim Hahnenkampf die von Pater Antonio Isabel erlernten Kenntnisse und gewann dadurch genügend Geld, nicht nur um seine Zucht zu verbessern, sondern auch um sich männliche Befriedigungen zu verschaffen. Ursula, die ihn zu jener Zeit mit seinem Bruder verglich, konnte nicht begreifen, wie Zwillinge, die in der Kindheit wie ein einziger Mensch gewirkt hatten, sich als so

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