Hundert Jahre Einsamkeit
Kaninchen wimmeln, blau schimmernd im Frühlicht. Petra Cotes lachte sich halb tot und konnte sich nicht verkneifen, scherzend zu sagen:
»Die sind gestern nacht geboren.«
»Wie entsetzlich!« sagte er. »Warum versuchst du es nicht mit Kühen?«
Wenige Tage später vertauschte Petra Cotes im Bemühen, ihren Innenhof zu entlasten, die Kaninchen mit einer Kuh, die zwei Monate später Drillinge warf. So begann alles. Über Nacht wurde Aureliano Segundo Eigentümer von Land und Vieh und fand kaum Zeit, die überquellenden Pferde- und Schweineställe zu erweitern. Es war ein taumelerregender Wohlstand, der ihn selber lachen machte, so daß er seine gute Laune nur noch in ausfallenden Redensarten loswerden konnte. »Aus dem Wege, Kühe, das Leben ist kurz«, schrie er. Ursula fragte sich, womit er sich wohl eingelassen habe, ob er nicht etwa stehle, ob er nicht vielleicht ein Viehdieb geworden sei. Und jedesmal, wenn sie ihn eine Flasche Champagner entkorken sah, nur um sich den Schaum auf den Kopf zu schütten, hielt sie ihm zeternd die Vergeudung vor. Und setzte ihm so lange zu, bis Aureliano Segundo eines Tages, in rosiger Laune erwachend, mit einer Kiste voll Geld, einem Topf Leim und einem Pinsel erschien und, die alten Lieder Francisco-des-Mannes grölend, das Haus von innen und außen und von oben bis unten mit Ein-Peso-Scheinen bekleisterte. Das seit der Zeit des Pianola weißgestrichene alte Herrenhaus sah plötzlich aus wie eine Moschee. Inmitten des Familienaufruhrs, Ursulas Unmut und der frohlockenden Dorfbevölkerung, die auf die Straße drängte, um die Verherrlichung der Vergeudung zu erleben, beendete Aureliano Segundo die Tapezierarbeit von der Fassade bis zur Küche, einschließlich der Bäder und Schlafzimmer, dann warf er die übriggebliebenen Noten in den Innenhof.
»Ich hoffe«, sagte er schließlich, »daß mir jetzt niemand mehr von Geld spricht.«
So war es. Ursula ließ die angeklebten Geldscheine von den grauen Kalkflächen schaben und das Haus von neuem weiß streichen. »Lieber Gott«, seufzte sie, »mach uns wieder so arm, wie wir waren, als wir dieses Dorf gründeten, damit Du uns im anderen Leben nicht diese Verschwendung ankreidest.« Ihre Bitten wurden umgekehrt erhört. Tatsächlich stieß einer der Arbeiter, der die Geldscheine abschabte, versehentlich gegen einen riesigen gipsernen Sankt Joséph, den jemand während der letzten Kriegsjahre im Haus zurückgelassen hatte, und das hohe Standbild zerschellte am Boden. Es war vollgestopft mit Goldmünzen. Niemand wußte zu sagen, wer diesen Heiligen in Lebensgröße gebracht hatte. »Drei Männer haben ihn hergebracht«, erklärte Amaranta. »Sie baten mich, wir sollten ihn behalten, bis der Regen aufhörte, und ich sagte ihnen, sie sollten ihn dort in die Ecke stellen, wo niemand ihn beschädigen könne, und so stellten sie ihn behutsam hinein, und dort steht er nun seit damals, weil sie ihn nicht mehr abgeholt haben.« In der letzten Zeit hatte Ursula Kerzen vor ihm aufgestellt und war vor ihm niedergekniet, ohne zu vermuten, daß sie statt eines Heiligen fast zweihundert Kilogramm Gold anbetete. Die verspätete Feststellung ihres unfreiwilligen Heidentums machte sie noch untröstlicher. Sie spuckte auf den prunkhaften Geldhaufen, füllte ihn in drei Rupfensäcke und begrub ihn an einem geheimen Ort in Erwartung, daß früher oder später die drei Unbekannten ihn zurückfordern würden. Viel später, in den schwierigen Jahren ihrer Hinfälligkeit, mischte Ursula sich gerne in die Unterhaltungen der zahlreichen Reisenden ein, die damals im Haus einkehrten, und fragte sie, ob sie während des Krieges nicht einen gipsernen Sankt Joséph bei ihnen abgestellt hätten, um ihn wieder abzuholen, wenn der Regen aufgehört hätte.
Diese Dinge, die Ursula so ungewöhnlich bestürzten, waren zu jener Zeit gang und gäbe. Macondo schien in einem Wirtschaftswunder Schiffbruch zu erleiden. Die von den Gründern aus Lehm und Bambus erbauten Hütten waren von Backsteinbauten verdrängt worden, und diese hatten Holzläden und zementierte Fußböden, welche die erstickende Zwei-Uhr-Nachmittagshitze erträglicher machten. Von José Arcadio Buendías altem Flecken waren damals nur die bestaubten Mandelbäume übriggeblieben, dazu bestimmt, den widrigsten Umständen zu widerstehen, sowie der Fluß mit seinem durchscheinenden Wasser, dessen prähistorisches Geröll von José Arcadio Segundos wahnsinnigen Eisenhammerhieben zersplittert wurde, als dieser
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