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Hundert Tage: Roman (German Edition)

Hundert Tage: Roman (German Edition)

Titel: Hundert Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Bärfuss
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glücklich, Menschen in Not geholfen zu haben, und keiner sprach ein Wort, bis man die Dosenaprikosen auftrug, und beim Nachtisch begann ein Mann in den Vierzigern von seinen Erlebnissen in den Lagern um Goma zu erzählen, wo er bis vor wenigen Tagen seinen Dienst geleistet hatte. Die Zustände dort würden von Tag zu Tag unerträglicher, jeden Tag, jede Stunde träfen neue Flüchtlinge ein, fünfundzwanzigtausend täglich, und die Gegend um Goma sei der schlechteste Ort, den man sich für ein Lager vorstellen könne. Der Boden bestehe aus alten Lavafeldern, die der Nyiragongo zurückgelassen habe. Er sei so hart, dass man mit dem üblichen Gerät keine Latrinen ausheben könne. Die Menschen erleichterten sich, wo sie ihre Notdurft gerade überkam, und in den Lagern Kibumba und Lac Vert seien die Masern ausgebrochen, und wahrscheinlich, wie er gehört habe, in Mugunga auch die Cholera, worauf ein Raunen durch Reihen der Helfer ging. Noch sei man nicht sicher, es stürben einfach zu viele Menschen, und sie könnten nicht bei jedem einzelnen die Todesursache bestimmen.
    Sie sei in Peru gewesen, als dort die Cholera ausgebrochen sei, meldete sich eine Person, die mir gegenübersaß und von der ich erst jetzt, nachdem ich ihre Stimme gehört hatte, sagen konnte, dass es eine Frau war. Wenn es tatsächlich die Cholera sei, dann würde sich Goma in wenigen Tagen in ein Leichenhaus verwandeln, und es werde niemanden geben, der dann das Sterben werde aufhalten können. Die Runde schwieg, und einen Moment war es, als würde draußen vor dem Zelt der Teufel persönlich umgehen, bis der Mann, der begonnen hatte, von den Schwierigkeiten erzählte, von den Impfstoffen, die in der Hitze verdarben, weil es keine klimatisierten, geschweige denn gekühlte Lagerhäuser gebe, vom Wassermangel, der herrsche, obwohl man jeden Tag hunderttausend Liter Wasser aus Kenia über den Landweg herbeischaffe, von den Tausenden von Kindern, die von ihren Eltern einfach zurückgelassen wurden. Alleine die Abfertigung der Transportmaschinen, von denen stündlich drei in Goma landen würden, sei ein Problem, weil es an Gabelstaplern fehle und die Hilfsgüter buchstäblich mit den Händen ausgeladen werden mussten.
    Das einzige, was in dieser Situation helfe, sei die vorbildliche Organisation in den Flüchtlingscamps, auch wenn manche der Leute, die in den Sektoren das Sagen hätten, mehr als zwielichtig seien. In seinem Abschnitt im Lager Kibumba habe alles auf das Kommando einer offensichtlich Verrückten gehört, einer jungen Frau mit einer Narbe im an sich hübschen Gesicht, die den ganzen Tag wie eine Hofdame durch das Lager promeniert sei. Alle Welt habe sie Madame Pompadour genannt, weil sie immer einen Sonnenschirm trug und durch das Elend schlenderte, als erginge sie sich in einem Schlosspark. Vier Milizionäre folgten ihr auf Schritt und Tritt, allesamt bewaffnet, obwohl Waffen im Lager verboten waren. Aber es gab niemanden, der es gewagt hätte, ihnen die Gewehre wegzunehmen, und die Frau habe einen Ruf besessen, der es vernünftiger erscheinen ließ, wenn man sich nicht mit ihr anlegte. Was man über sie erzählt habe, wollte ich wissen, und er meinte, Genaues habe man nicht erfahren, nur dass sie die Anführerin einer Miliz gewesen sei, und was diese angerichtet hätten, sei ja nun wohl bekannt. Ob er dabei gewesen sei, fragte ich ihn, ob er denn einen einzigen Tag seines Lebens östlich des Kivu verbracht habe, ob er denn mit eigenen Augen gesehen habe, was die Frau alles angerichtet habe, wie er es nenne; und als er den Kopf schüttelte und sagte, das sei für die Beurteilung gewisser Umstände auch nicht nötig, da fragte ich ihn, wie er denn hier solche Geschichten in Umlauf bringen könne, Personen verleumden, von denen er nichts wisse, nicht, wie sie gelebt hätten, nicht, was sie erlebt hätten.
    Er antwortete nicht, fischte eine halbe Aprikose aus dem Zuckersirup, stopfte sie sich in den Mund und forderte mich auf, dasselbe zu tun, was ich unterließ und die meisten der Anwesenden als Kriegserklärung auffassten, worauf sie sich aus dem Staub machten und mich fortan in Ruhe ließen.
    Zehn weitere Tage blieb ich in Inera. Ich wollte zu Kräften kommen, mich ordentlich satt essen und früh zu Bett zu gehen, und vor allem brauchte ich Geld, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie ich dazu kommen sollte. Doch nach einigen Tagen kam mir das Glück zu Hilfe. Ich musste leere Kanister an die Flüchtlinge verteilen und darauf achten, dass jene

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