Hundsleben
PROLOG
»Kindness to animals is the
hallmark of human advancement;
where it appears, nearly everything
else can be taken for granted.«
Grey Owl, eigentlich Archibald (Archie)
Stansfeld Belaney
Es lag ihm im Blut – die Liebe zu Tieren, die
Sehnsucht nach der Weite der Indianerwälder. Wie viele Jungs wollte er ein
Indianer sein; er durchstreifte tagelang die Wälder rund um Hastings an der
englischen Küste, weniger zur Begeisterung seiner Tanten, die ihn aufzogen.
Nach seinem Schulabschluss begann er in einem Holzhandel zu arbeiten, wo er
seinen Chef und die Mitarbeiter ständig foppte, Aufträge falsch ausführte und
schließlich entlassen wurde. Zähneknirschend finanzierten die Tanten
schließlich 1906 die Überfahrt nach Kanada.
Er jobbte in Toronto, das half zwar nicht, seine
Sehnsucht zu stillen, brachte aber Geld ein. Damit reiste er in den Norden
Ontarios, und die harte Realität entsprach nicht dem Traumbild seiner Kinderzeit.
Von Moskitos aufgefressen zu werden, klatschnass geregnet, bei minus
fünfundvierzig Grad im Freien zu übernachten, war anders als sein Traumbild. Er
lernte den Trapper Bill Guppy kennen, der dem Jungen Tricks und Kniffe fürs
Überleben in der Wildnis verriet. Und da zeigte Belaney Biss und Einsatz, er
wurde in kürzester Zeit zu einem erfahrenen Trapper. Er begann sich mit den
Ojibway-Indianern anzufreunden und nahm den Namen Grey Owl (Wa-Sha-Quon-Asin,
»Vogel, der nachts wandert«) an. 1910 heiratete er eine Ojibway-Indianerin und
bekam zwei Töchter. Er versuchte mit aller Macht, seine englischen Wurzeln zu
vergessen. Er verleugnete nicht nur vor sich selbst, Engländer zu sein, sondern
erfand eine komplett neue Vita und behauptete, ein Halbblut zu sein.
Mit einer gewissen Beunruhigung nahm er das Vordringen
des weißen Mannes wahr, obwohl dem eine gewisse Schizophrenie zugrunde lag,
denn auch er war ein weißer Mann. Für sich nahm er durchaus in Anspruch, dass
er vom Fallenstellen und vom Verkauf der Biberfelle leben durfte.
Mit dem Ersten Weltkrieg meldete sich Grey Owl als
Freiwilliger, wurde schwer verwundet und durch Giftgas verletzt. Er landete in
einem Lazarett in Hastings, wo seine Tanten sich um ihn kümmerten. Die Tanten
waren mit der jungen, bezaubernden Balletttänzerin Ivy Holmes bekannt, der
Jugendliebe von Archie, und ganz nach Plan der Tanten verliebte sie sich erneut
in den abenteuerlichen Exoten. Er heiratete sie 1917, obwohl er in Kanada
bereits verheiratet war. Grey Owl reiste kurz nach der Hochzeit nach
Nordontario, Ivy hatte mit Wildnis nichts am Hut, sondern strebte eine
Bühnenkarriere an. Sie verkehrten nur per Brief miteinander, und schließlich
gestand er ihr, dass er bereits rechtsgültig verheiratet war – Ivy Holmes ließ
ihre Ehe wutentbrannt annullieren.
Traumatisiert vom Krieg war Grey Owl noch mehr
überzeugt, dass die Zivilisation nur das Schlechteste im Menschen
hervorbrachte. Aber auch in Kanada rückte ebendiese Zivilisation vor,
Prospektoren und Bodenspekulanten hatten sein Paradies längst verhökert und
aufgeteilt. Sie beuteten Bodenschätze gnadenlos aus, und rein geschäftsmäßig
wirtschaftende »Biberfell-Unternehmen« dezimierten den ehemals reichen
Biberbestand fast bis auf null. Für einen allein agierenden Fallensteller wie
Grey Owl wurde das Überleben schwierig.
Er zog sich immer weiter in die Wildnis zurück,
verbittert, zerrissen zwischen den Welten. 1925 lernte der nun
sechsunddreißigjährige Grey Owl eine neunzehnjährige Mohawk-Indianerin kennen.
Sie folgte ihm in seine Fallenstellerhütte. Grey Owl, nach wie vor verheiratet,
ließ sich mit Gertrude in einer indianischen Zeremonie trauen. Er nannte sie
Anahareo. Die sensible junge Frau litt sehr unter dem Töten der Tiere, und als
Grey Owl eine Bibermutter fing und damit zwei kleine Biber auf dem Gewissen
hatte, kam die Wende. Anahareo bestand darauf, die Waisen großzuziehen. Von den
kleinen Tieren bezaubert, beschloss Grey Owl das Trapperleben aufzugeben und
sich dem Naturschutz zu widmen, ja sogar eine geschützte Biberkolonie aufzubauen.
Grey Owl und seine Frau waren in finanziellen Nöten,
der Winter war hart, und Grey Owl war wie getrieben von seiner Angst, das
letzte Paradies wieder zu verlieren. Sein Kopf war voller großer Gedanken, und
dann begann er zu schreiben. »Why should the last of the silent places be
destroyed ruthlessly whilst we stand by in listless apathy without making an
effort? … We need an enrichment other than material
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