Muttergefuehle
Warum denn bloß noch ein Buch zu diesem Thema?
Vor der Geburt meines Sohnes habe ich über meine bevorstehende Mutterschaft ungefähr so viel nachgedacht wie über Fahrstühle oder Spannbettlaken. Nicht, weil mir das Thema egal gewesen wäre, sondern vielmehr, weil es meine Vorstellungskraft überstiegen hat. Ich konnte mir ja nicht einmal vorstellen, dass das in meinem Bauch wirklich ein Kind war. Dass sich mit der Geburt meines Sohnes so ziemlich alles ändern sollte, hat mir also ein Holzhammer erklärt: Ich war plötzlich nicht mehr selbstständig und (finanziell) unabhängig, sondern musste mein Leben einem Vier-Kilo-Pflegefall und der gut bezahlten Berufstätigkeit meines Mannes unterordnen. Ich war Hausfrau und Mutter, fand diese Berufsbezeichnung ungefähr so attraktiv wie einen Blazer mit Schulterpolstern und fühlte mich auch so: scheiße hässlich, mit nichts kompatibel, aber schwer erpicht darauf, die starke Frau zu repräsentieren. Denn als Mutter verspürte ich einen extremen Druck, perfekt sein zu müssen, natürlich immer unter dem strengen Blick von Freunden, Bekannten und sogar Fremden, die ungefragt, unangebracht und unverschämt Tipps, Befehle und Rügen austeilten.
Hatte ich mich zuvor relativ entspannt darauf verlassen, dass schon alles irgendwie hinhauen würde, kochten meine Gefühle über, ich war alles, was die Klaviatur der Emotionen hergab:
Ich war unsterblich verliebt. Ich war wütend. Ich hatte eigentlich immer Angst um meinen Sohn. Ich war stolz. Ich war alles andere auch. War ich normal? Die Bücher, die ich über Mutterschaft fand, zeichneten nämlich ein anderes, jeweils sehr einseitiges Bild. Die einen feierten die Mutterschaft als esoterischen Glücksdrogenrausch, andere fanden sie so schlimm, dass sie ihre Kinder am liebsten am Laternenpfahl einer Autobahnraststätte angebunden hätten, und wieder andere beschrieben die Zeit mit ihren Kindern als eine selbstironische Spaßrakete.
Ich vermisste das große Ganze. Denn genauso, wie mein Sohn mein allergrößtes Glück ist, ist er eben unter anderem auch noch die schlimmste Nervensäge, der coolste Clown und der übelste Jammerlappen.
Ich vermisste noch etwas: die Wertefreiheit. Frauen, die in Büchern ehrlich beschrieben, dass sie ihre Kinder oder die überzogenen Ansprüche an Mutterschaft scheiße finden, wurden sofort als Rabenmütter beschimpft oder nannten sich angriffslustig gleich selbst so. Es wurden sofort Fronten aufgebaut, und in den meisten Büchern waren die erhobenen Zeigefinger so groß, dass ich überlegte, meinen Sonnenschirm abzuschaffen.
Dabei wollte ich eigentlich nur wissen: Bin ich normal, wenn ich plötzlich so extrem fühle wie eine Vierzehnjährige auf Klassenfahrt? Geht es anderen auch so? Und wenn ja, was machen sie in diesen Situationen?
Weil ich dieses Buch nirgends finden konnte, habe ich es selbst geschrieben. Der Mann hielt dieses Projekt für eine Schnapsidee beziehungsweise für meine Version eines Töpferkurses in der Toskana. Das hat er nun davon, denn er kommt natürlich ständig vor und dabei auch nicht immer gut weg.
In jedem Kapitel berichte ich in einer emotionalen Momentaufnahme aus meinen ersten zwei Jahren als Mutter. Am Ende eines jeden Textes habe ich festgehalten, was mir in der betreffenden Situation geholfen hat beziehungsweise hilft oder was ich heute anders machen würde. Wichtig ist mir: Dabei handelt es sich nicht um Anweisungen, der Zeigefinger muss in diesem Buch nämlich draußen bleiben.
Ich kann schließlich schlecht einer Mutter erklären, wie sie mit sich und ihrem Kind glücklich wird, wo ich doch selbst ständig an dieser Aufgabe scheitere. Lieber berichte ich davon, wie ich mich beim Scheitern fühle. Und bei allem anderen auch.
Schon bevor das Buch fertig war, habe ich selbst es als Nachschlagewerk benutzt. Als ich zum Beispiel völlig frustriert war und mir nicht mehr vorstellen konnte, dass mein Sohn jemals etwas anderes gemacht hat, als mich anzubrüllen und zu hauen, konnte ich dort nachlesen, dass ich tatsächlich ziemlich häufig so glücklich bin, als hätte jemand Glitzerhonig in meine Synapsen geschüttet.
Ich würde mich unbändig freuen, wenn dieses Buch auch für andere LeserInnen hilfreich ist und sie bei der Lektüre so etwas sagen wie:
»O ja, das kenn ich! Ich wünsche Klugscheißern auch mindestens Haarausfall!«
»Anschreien hilft? Das probiere ich gleich mal aus« (Witz).
»Herrje, macht die sich einen Stress. Zum Glück war das bei mir
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