Hurra, wir leben noch
20. September 1948, abends, traf Jakob Formann, mit dem Flugzeug aus Washington kommend, hier ein. Alle Menschen in Boston sind fein und vornehm.
Jakob war vergnügt und munter. Er hatte einen Riesenauftrag des Pentagon in der Tasche und köstliche Wochen mit Jill Bennett hinter sich. (Jills Frustrationssyndrom war von Jakob völlig zum Verschwinden gebracht worden.)
Natürlich wohnte er im RITZ , dem vornehmsten, feinsten und altehrwürdigsten Hotel von Boston. Die feinen, vornehmen und altehrwürdigen Herren an der Reception und in der Portierloge empfingen ihn hochachtungsvoll. Er hatte reserviert und wurde also erwartet. Der vornehmste und feinste Bostoner Portier sagte zu ihm in dem mit Recht bestaunten feinen und vornehmen Bostoner Englisch: »Wir haben seit Stunden ein Gespräch für Sie, Sir. Der Herr ruft immer wieder an. Wir sind auch im Besitz seiner Nummer. Sie möchten sich bitte sofort bei ihm melden.«
»Was für ein Herr?« fragte Jakob.
»Ein gewisser Jesus Washington Meyer aus Tuscaloosa in Alabama, Sir.«
»Jesus!« Schon rannte Jakob zum Lift. »Verbinden Sie mich in zwei Minuten, wenn ich auf meinem Zimmer bin!«
»Sehr wohl, Sir«, sagte der Portier. Er war erstaunt und ein wenig indigniert. Im RITZ wird niemals gerannt.
Fünf Minuten später – Jakob hatte gerade die Jacke ausgezogen und die Krawatte abgenommen – klingelte der Apparat neben seinem Bett. Er riß den Hörer ans Ohr.
»Hallo, Jesus!« schrie er begeistert und auf Englisch.
»Grüß Gott, Jakob«, sagte eine Männerstimme, deutsch mit stark österreichischem Akzent. Jakobs Hand begann zu zittern. Um ein Haar wäre ihm der Hörer entglitten. »Endlich bist da, Burschi. Was ich mich freu’, daß ich deine Stimme hör’!«
»Je … je … Wer sind Sie?«
»Na, der Jesus, Burschi.«
»Du … Sie … Sie sind nicht Jesus! Sie können es nicht sein!«
»Kloa kann ich’s sein. Kloa bin ich’s. Was hast denn?«
»Jesus Washington Meyer?«
»Sag’ i doch!«
»Aus Tus … Tus … Tuscaloosa, Alabama?«
»Sag amal, bist du deppert, Burschi?«
Na also, dachte Jakob, es geht los. Es ist soweit. Ich bin reif für die Klapsmühle. Zuviel Arbeit. Zuviel Liebe. Zuviel Streß. Jetzt hat’s mich erwischt.
»Wa … Wa … Waren Sie im Krieg Soldat?«
»Nona!«
»In … in Wien … bei der MP ?«
»Zuerst in Wean und nachher in Linz, na, in Hörsching, dem Drecksnest, wo der Fliegerhorst war. Hearst, was ist denn los mit dir? Bist du bsoffn?«
»Tot … tot … tot …«
»Was?«
»Total nüchtern.«
»Des glaub’ i dia net.«
Herrgott, hilf! Ich bin verrückt geworden, dachte Jakob verzweifelt.
»Du hast doch mit mir z’samm’ gearbeitet, Burschi! Weißt es nimmer? Die Gschicht mit dem depperten Colonel Hobson und unsere Eia?«
»Eier? Ich habe in meinem Leben nur mit
einem
Jesus Eier geklaut!«
»Endlich …«
»Nichts endlich! Das war ein Schwarzer!«
»I bin noch imma a Schwarzer!«
»Der kein Wort Deutsch verstanden hat!«
»Na, jetzt versteh’ i halt Deitsch!«
Jakob brüllte los: »Wer macht sich da einen schlechten Witz mit mir? Antworten Sie! Los, antworten Sie!«
Aus dem Hörer kam eine sanfte Stimme: »Mei Hasenpfote hat dir aba Glück gebracht, Jakob!«
»Jesus!«
schrie Jakob. »Du
mußt
Jesus Washington Meyer sein! Kein anderer Mensch hat mir eine Hasenpfote geschenkt!«
»Nur i!«
»Nur du! Aber wieso sprichst du so österreichisch?«
Tiefes Lachen. Dann: »I hab’ mir denkt, ich mach’ dir a Freud damit. I hab’ nämlich eine Linzerin mitgenommen nach Haus. Geheiratet noch in Linz. Die Fanny.«
»Die Fanny …«, wiederholte Jakob blödsinnig.
»Ein süßes Madl! Die beste Frau von der Welt!«
»Wie … Wieso weißt du, daß ich in Boston bin? Und in diesem Hotel?«
»Napoleon.«
»Was?«
»Napoleon is ana von de Wagenmeister im ›Ritz‹. Der hat g’hört, daß du reserviert hast. I hab’ eahm von dir erzählt. Wie die ganze Familie hier bei uns z’sammg’sessen ist, nach meina Heimkehr. I hab’ dir doch immer g’sagt, wir san a sehr a große Familie, net?«
»Ja …«
»Der Napoleon, des is a Vetter von mir.«
»Aha.«
»Also, wann kummst zu mir?«
»Vorläufig habe ich noch dringend hier zu tun, Jesus. Plastics. Lizenzen kaufen. Ein paar Wochen. Vielleicht drei, vier … aber dann sofort!« Jakob richtete sich auf, wieder der alte Jakob. »Es wird Arbeit geben, wenn ich komme, Jesus.«
»Für wen?«
»Du kannst es noch nicht wissen«,
Weitere Kostenlose Bücher