Hurra, wir leben noch
begraben. Auf dem Nordfriedhof.«
»Das weiß ich. Ich will einen Kranz auf das Grab legen.«
»Da liegen schon genug drauf. Was glauben Sie, was da für Honoratioren erschienen sind! Das war eine ganz feierliche Sache. Wir haben natürlich auch einen besonders großen Kranz …«
»Was heißt wir?« Jakobs Narbe begann zu pochen.
»Na, Julia und ich«, sagte Herr Fromm.
»Haben Sie den Professor denn gekannt?«
»Erst im Sarg.«
»Und wieso sagen Sie Julia zu Julia?«
»Weil sie so heißt, Herr Formann.«
»Herrgott, sind Sie verwandt mit Julia?«
»Bis jetzt noch nicht. Aber …«
»Was soll das heißen?«
»Ihr Verlobter bin ich«, sagte Herr Fromm. Mit Betonung.
Allmächtiger Vater.
Jakob sah den Hasen an. Der Hase senkte hilflos den Kopf. Herr Fromm klopfte mit einem Fingernagel gegen seine sehr weißen Zähne. Also, in meinem Leben habe ich kein widerwärtigeres Geräusch gehört, dachte Jakob. Schönling, verdammter.
Der Schönling sah ihn unfreundlich an. Sehr unfreundlich.
12
Eine qualvolle Viertelstunde später.
»Also, Erich, nun mußt du aber wirklich gehen«, sagte der Hase. »Direktor Mühsam ist im Atelier. Du weißt, ihm liegt dieser neue Film besonders am Herzen.« Der Hase sah Jakob an. »Sogar bei den Kostümproben ist er dabei, und er nimmt sich vor allem des Herrn Fromm an.«
»Wie interessant«, sagte Jakob, in einem Tonfall, den er für sarkastisch hielt.
Erich erhob sich.
»Ja, du hast recht, ich muß wirklich …« Herr Fromm sah Jakob an. »Und was ist mit dem da?«
»Der da bleibt noch ein Weilchen«, sagte Jakob, sehr leise.
»Sie! Werden Sie bloß nicht auch noch frech! Erst unangemeldet hier hereinschneien, und dann …«
»Erich, bitte! Sei nicht kindisch. Ich kann einen so alten Bekannten wie Herrn Formann nicht hinauswerfen, bloß weil du ins Atelier mußt.«
»Eben«, sagte Jakob.
Der jugendliche Held sah ihn an wie ein bissiger Terrier. Fehlt bloß noch, daß er knurrt, dachte Jakob. Dann zuckte der widerliche Schönling die Schultern. Und küßte Julia vor Jakobs Augen. Lange und innig. Er strich über ihr Haar. Er küßte ihre Hände. Außen und innen.
Jakob saß da und litt. Endlich war der schöne Widerling draußen. Abermals Stille. Nur von unten drang gedämpft Verkehrslärm herauf.
»Vielleicht ist es doch besser, ich gehe auch!« überlegte Jakob laut.
»Nein!« Julia gab sich einen Ruck. »Jetzt lassen wir endlich dieses Theater und benehmen uns nicht wie kleine Kinder, ja? Du bist enttäuscht. Du bist wütend darüber, daß ein anderer Mann bei mir lebt …«
»Richtig! Apropos: Lebt er nur
bei
dir, oder lebt er auch
von
dir?«
»Du bist reichlich geschmacklos, Jakob.«
»Es gab eine Zeit, da war ich dein Bär!«
»Die ist lange vorbei, diese Zeit, Jakob. Es gab auch eine Zeit, da war ich dein Hase.« Plötzlich sprang Julia auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Das ist ja herrlich! Du saust in der Welt herum und machst Millionen und schläfst mit hundert Frauen …«
»Hundert waren es nie!«
»Unterbrich mich nicht! Schläfst mit hundert Frauen und läßt nie wieder ein einziges Wort von dir hören. Kein Anruf, kein Brief, keine Zeile, keine Nachricht, nichts, nichts, nichts. Der Professor stirbt. Ja,
da
kommst du! Du sollst mich nicht unterbrechen! Und hast das gleich mit einem Besuch bei mir verbinden wollen, wie? Sehr praktisch! Nur keine Zeit verlieren. Und jetzt bist du da und nimmst übel. Fehlt bloß noch, daß du sagst, ich betrüge dich!«
»Mein liebes Kind, um mich zu betrügen, müßtest du schon mit Stalin schlafen – und nicht mit so ’ner halben Portion.«
Julia empörte sich. »Erich ist keine halbe Portion! Erich ist … ist … ist …«
»Ja, ja, ja, was ist er denn? Siehst du, du weißt es selber nicht!«
»Natürlich weiß ich es! Ein wunderbarer Mensch ist Erich, der mich aufrichtig liebt – das ist er!«
»Haha.«
»Mach noch einmal haha, und ich schmeiße dich raus! Ich habe genug gelitten in der langen Zeit, in der ich auf dich gewartet habe in Theresienkron.« Sie brach in Tränen aus. Jakob sprang auf und wollte sie an sich ziehen. »Rühr mich nicht an! Ich schreie!« Er trat zurück. »Hast du ein Taschentuch?«
Er gab es ihr. »Danke.« Sie blies hinein. Und nun saßen beide wieder. »Hase und Bär gehören zusammen – hast du gesagt, damals, als es uns allen noch dreckig ging. Als du nichts hattest, und ich nichts hatte. Als wir uns aus dem Dreck rackern mußten. Und gerackert
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