Hurra, wir leben noch
er den zukünftigen Superstar nun sachlich, präzise, man könnte fast sagen: emotionslos, zusammen.
Rechts, links, links, rechts trafen den schönen Herrn Fromm Jakobs Haken, und rechts und links, und wieder mal in den Magen, und dazu kreischte der Hase wie von Sinnen. Und immer noch lief die Schallplatte, sie drehte sich seit fast zwei Stunden auf dem automatischen Gerät. Und sie drehte sich weiter.
»… stormy weather! It keeps raining all the ti-ime …«
Und rechts und links. Und links und rechts.
Der schöne Herr Fromm ging endgültig zu Boden. Es erstaunte Jakob ungemein, daß er plötzlich zwei Ohrfeigen von Julia bekam.
»Nanu …«
»Was fällt dir ein!« schrie der Hase wild. »Jetzt sehe ich dich endlich, wie du wirklich bist! Infam und brutal! Verschwinde!«
»Wie bitte?«
»Raus! Raus! Raus!« Außer sich vor Zorn, packte der Hase die kreisende Platte, riß sie vom Teller, und im nächsten Moment knackte es sehr laut und sehr häßlich.
»Hase!« schrie Jakob.
»Julia«, stöhnte Herr Fromm.
Julia stand keuchend neben dem Apparat, eine halbe Schallplatte in jeder Hand. Sie hatte sie über einer Sessellehne zerbrochen.
»Unser Lied, Hase …«
»Weg! Verschwinde! Und laß dich nie mehr sehen! Nie mehr! Ich hasse, hasse, hasse dich!« schrie Julia. Und dann, Jakob sah es mit Beben, kniete sie neben Herrn Fromm nieder, wischte ihm Blut vom Gesicht, streichelte ihn, sprach sanft auf ihn ein. Jakob dachte: Jetzt ist sie mir böse dafür, daß sie gegen ihren so festen Vorsatz schwach geworden ist. Jetzt ist die Lage vollkommen verkorkst. Jetzt ist alles sinnlos.
Ohne ein Wort verließ er des Hasen Wohnung, schloß behutsam die Tür und ging die Treppen hinunter. Dabei übermannte ihn von neuem rasender Zorn. Sie hat unser Lied kaputtgemacht, dachte er, wirr im Kopf. Sie haßt mich wirklich, weil sie gezeigt hat, daß sie mich wirklich liebt. Ach, die Frauen! Wie soll einer aus den Frauen schlau werden? Aber diesem Sauhund, diesem Fromm, dem habe ich es gegeben! Der hat wenigstens sein Fett weg. So habe ich zugeschlagen. Und so. Und so. Jakob begann schattenzuboxen, während er weiter die Treppen hinabschritt. Und eine Linke! Und eine Rechte! Und eine Linke …
15
… und eine Rech …
Moment mal, bitteschön. Ein kleines Momentchen.
Jakob öffnete blinzelnd ein Auge. Danach das zweite. Wo war er?
Ach, verflucht! Im Bett des Appartements im CINQ CONTINENTS in Paris. Im Bett lag er, geträumt hatte er das alles, und in seinem Traum hatte er auf Kissen eingeschlagen, eines war geplatzt. Federn rieselten heraus, er lag auf dem Bauch, die Decke war zu Boden gerutscht, er keuchte vor Anstrengung. Den beiden Kissen, denen hatte er es aber gegeben! Die waren erledigt. Nicht mehr zu gebrauchen.
Jakob setzte sich auf. Er schüttelte den Kopf wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. Kratzte sich am Kinn. Betrachtete den zerdrückten Pyjama, die nackten Zehen. Das ist ja zum Kotzen. Die Uhr auf dem Nachttisch: 10 Uhr. Also habe ich verschlafen. Gründlich verschlafen. Und was für ein Schlaf das wieder gewesen ist! 1956 habe ich geträumt, was 1949 passiert ist. Draußen in Belleville bei der lieben Claudine, wo ich gedacht habe, ich ersticke (und es war doch nur Freßasthma), habe ich ebenfalls von der Vergangenheit geträumt. Ich träume überhaupt immer von der Vergangenheit, und immer so lebhaft, so genau, so anstrengend!
Ist das ein Träumen? Das ist kein Träumen! Ich bin ja vollkommen erschöpft. Mein Puls rast. Schweiß rinnt mir vom Hals über die Brust, so aufgeregt habe ich mich bei der Prügelei mit den Hunden, den Kissen, äh, dem Hund, dem Herrn Erich Fromm, also nein, so geht das nicht weiter! Ich muß zu einem … Püsch … Püsch … Na! Der Senator Connelly und die liebe Jill waren auch bei einem! … Püscho – Püschoanalytiker! Zu einem Püschoanalytiker muß ich, zum besten, wo es gibt!
Er erhob sich, seltsam schwankend. Nahm ein Bad, seltsam benommen (wie immer nach diesen Träumen, und die kamen wieder und wieder und wieder). Rasieren, Zähneputzen. Anziehen. Halb elf! Ich hab’ zu arbeiten, Herrgott! Ich muß nach Hamburg. Das Flugzeug …
Er ging zur Tür, die in den großen Salon führte, und hielt jäh inne. Moment mal, die Edle. Der habe ich doch versprochen, zu husten und zu pfeifen und zu klopfen, bevor ich eintrete, damit ich sie nicht beschäme, falls ihre große Liebe sie vielleicht gerade mal an der Türklinke hängen läßt, Zustände sind das,
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