Hurra, wir leben noch
Doch er glitt dabei aus und wäre gefallen, hätte der von Herresheim ihn nicht behutsam und schnell in seinen starken Armen aufgefangen.
»Hoppla«, sagte der von Herresheim. »Ja, ja, dieser Teppich rutscht immer, ich weiß. Also dann auf Wiedersehen, mein Lieber.«
Jakob raffte sich zu einer neuen Attacke auf, da traten wie durch Zufall zwei sehr breitschultrige Herren in den Empfangsraum und musterten ihn nachdenklich.
»Servus!« sagte Jakob Formann und machte, daß er fortkam.
Am Nachmittag des gleichen Tages wurde dann im Innenministerium Vivaldi gespielt, und Jakob erhielt das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband für ›Besondere Verdienste um den Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland‹. Der Orden war, wie schon der Name besagt, zu tragen am Großen Bande, der goldene Bruststern links.
Während das Kammerorchester sich durch das Vivaldi-Konzert für Viola d’amore, Violoncello, Flöte, Oboe und Fagott arbeitete und Jakob neben Hohen Herren des Ministeriums Platz genommen hatte, sagte der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland zu ihm: »Wundervoll, dieser Vivaldi, nicht wahr?«
Jakob nickte nur. Er konnte vor Wut nicht reden.
»Einer der großen Musiker seiner Zeit«, sagte der Minister. »Johann Sebastian Bach hat einige seiner Werke bearbeitet und ist von Vivaldi nachhaltig beeinflußt worden. Dieses Konzert haben wir eigens für Sie ausgesucht, mein lieber Herr Formann …«
8
Also ist der Hund, der Herresheim, die Treppe hinaufgeflogen, dachte Jakob. Er dachte drei Tage lang nichts anderes, dann wandte er sich in seinem maßlosen Zorn an das bekannte deutsche Nachrichtenmagazin. Von jetzt an wird es kritisch, schöne Leserin, geistreicher Leser, denn der Redakteur, den das Nachrichtenmagazin daraufhin in Bonn beim Innenministerium Auskunft heischen hieß, ist tot. Einem Ondit zufolge, und wir wiederholen ausdrücklich: einem Ondit zufolge, sagte ein Beamter des Ministeriums dem verblichenen Redakteur in schönstem Kölsch: »Isch weiß jar nich, wat dä Herr Formann will. Mehr als dat Jroße Bundesverdienstkreuz kann er nisch kriejen. Is dä Herr von Herresheim noch Persönlicher Referent im Amt für Seefahrt? Nein! Im VDU ist er, ich bitte Sie! Dä Herr Bundeskanzler hat ooch ’ne Persönliche Referenten, den Herrn Doktor Globke, ja, ja, den mit den Nürnberger Jesetzen, nicha, und dä Herr Bundeskanzler hat jesagt: ›Auf den Mann kan isch nich verzichten!‹ Bitte, is dä Herr Doktor Globke also jeblieben. Damit muß sich dä Herr Formann abfinden, dat man bei uns in der Bundesrepublik auf manche Männer eben nich verzichten kann. Wenn ihm dat nicht paßt, kann er ja in’n Osten jehn, zu dä Zoffjets! Is doch überhaupt Österreicher, nicha?«
9
»Telefon, für dich«, sagte Arnusch Franzl zu Jakob, am Abend des Tages, an dem diesem das Große Bundesverdienstkreuz verliehen worden war. Wenn er sich in Bonn befand, wohnte Jakob immer bei seinem Freund. Die beiden hatten in der prunkvollen Halle gesessen und ferngesehen – eine Unterhaltungssendung, betitelt ›Hotel Victoria‹, mit dem singenden, charmanten, schwyzerdütsch sprechenden Vico Torriani.
»Wer ist dran?«
»Düsseldorf. Ein Blumengeschäft. Was weiß ich.« Der Franzl wälzte sich. Jakob nahm den Hörer und nannte seinen Namen.
»Herr Formann, verzeihen Sie die späte Störung, aber wir haben bis jetzt Nachforschungen angestellt und glauben, daß wir Sie gleich benachrichtigen müssen.«
»Was ist los?« fragte Jakob, dieweilen der Franzl freundlicherweise den Tonregler des Fernsehers zurückdrehte.
»Sie haben am Vormittag angerufen und uns einen Auftrag gegeben. Drei Dutzend Sonja-Rosen an Frau Julia Martens, Düsseldorf, Graf-Adolf-Straße 312.«
»Ja, und?«
»Es tut uns leid, Herr Formann, eine Frau Martens wohnt dort nicht.«
Jakobs Schläfennarbe zuckte.
»Unsinn! Ich habe sie doch selber dort besucht!«
»Wann?«
»Vor …« O Gott, ist das peinlich. O Gott, ist das eine Gemeinheit von mir gegen den guten Hasen! »… vor zwölf Jahren.«
»Ja, da hat sie vielleicht dort gewohnt, aber jetzt …«
»Was sagt der Hausmeister?«
»Der weiß von nichts.«
»Wieso weiß der von nichts?«
»Weil er neu ist. Der, der früher da war, ist gestorben. In dem Haus hat sich überhaupt viel geändert. Wirklich, es tut uns leid, Herr Formann, aber wir konnten die Blumen nicht liefern.«
»Das Telefonbuch! Ist das vielleicht auch verstorben?« regte Jakob sich auf.
»Frau Martens
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