Hurra, wir leben noch
habe schon vor Jahren erläutert, wie er sich das vorstelle, wäre aber mitsamt seiner Vorstellung abgewiesen worden, nämlich von dem Herrn von Herresheim. Er sei aber gerne bereit, den Herren des Ausschusses (Jetzt habe ich dich, Herresschwein!) die Sache noch einmal zu erläutern. Besonders liebenswürdig sprach er sodann: »Ich bin bereit, das volle wirtschaftliche Risiko für den Betrieb des Schiffes zu übernehmen. Der Bau wird etwa einhundertfünfzig Millionen kosten. Ich hoffe, daß mir aus Mitteln der öffentlichen Hand vierzig Prozent Darlehen und vierzig Prozent Wiederaufbaumittel zur Verfügung gestellt werden. Zwanzig Prozent der Bausumme bringe ich selber ein.«
Das war nur eine reine Michael-Kohlhaas-Haltung (wenn Jakob natürlich auch keine Ahnung hatte, wer Michael Kohlhaas Kleistschen Angedenkens war). 1957 hatte er noch nicht Geld genug besessen, ein Passagierlinienschiff allein zu finanzieren. 1961 besaß er es – und viel mehr! Aber es ging dem Jakob hier nicht darum, daß er die Hilfe der Bundesregierung eigentlich gar nicht mehr nötig hatte, es ging ihm darum, daß er sie 1957 nötig gehabt – und nicht bekommen hatte! Es ging ihm (wie dem Kohlhaas) nicht um das Geld, es ging ihm um die Gerechtigkeit!
Nach halbstündiger Beratung stimmte der Ausschuß den Vorstellungen Jakobs zu. (Na also, Herresschwein!)
Der von Herresheim befand sich zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr in Hamburg. Nachdem Jakob die Zustimmung zum Bau des Luxusliners und noch bevor er das Große Bundesverdienstkreuz erhalten hatte, ging er am Vormittag des 21. Juni 1961 in das Riesengebäude des Verbandes der Deutschen Unternehmer und daselbst in die Abteilung VI , um verschiedene wichtige Papiere für das Entwicklungshilfeprojekt zu holen, das er mit dem Premierminister der afrikanischen Republik Karania, Ora N’Bomba, ausgehandelt hatte. Von einer rotblonden Schönheit mittlerer Güteklasse wurde er im Zimmer des Vorstands der Abteilung VI des VDU gebeten, einen Augenblick Platz zu nehmen. Der Augenblick dauerte eine Stunde.
Jakob las eine Zeitung vom Tage aus. Er hatte Muße, sogar die Kino- und die Theaterprogramme, die Todesanzeigen und den Annoncenteil zu studieren.
Im Annoncenteil fand er dies:
ÖFFENTLICHE DANKSAGUNG
Endlich, nach genau 13 Jahren seelischer und materieller Not und beruflicher Nachteile, wurde der ›Dank des Vaterlands‹ Wirklichkeit! Nach über dreijähriger russischer Kriegsgefangenschaft habe ich heute DM 540,– sog. Heimkehrerentschädigung erhalten. Das entspricht einer Entschädigung
von pro Tag = 48 Pfennig
Dafür spreche ich meinem Vaterlande und dem Ausgleichsamt für die unbürokratische Bearbeitung meinen Dank aus.
Den jetzigen Soldaten empfehle ich, beizeiten eine Kriegsgefangenen-Versicherung abzuschließen für den Fall, daß der ›Dank des Vaterlandes‹ noch schmaler wird oder ganz ausbleibt.
Nass, Bezirksförster, Fürstenau
Gerade nachdem Jakob das gelesen hatte, öffnete sich eine Tür, und heraus ins Vorzimmer trat ein Hüne von Mann, elegant, blond und blauäugig. Wohlgenährt, gesund und kräftig. Er hielt eine Mappe.
»Hallo, mein lieber Herr Formann«, sprach der Hüne fröhlich und schlug Jakob krachend auf die Schulter.
Unser Freund plumpste in einen Sessel. Er fühlte sich einer Ohnmacht nahe, es wurde ihm schwarz vor den Augen, dann ermannte er sich und rief: »Herresschwein, Sie Heim …, ich meine: Herresheim, Sie Schwein, was tun denn Sie hier?«
»Aber, aber, Herr Formann, um Himmels willen, wie sprechen Sie denn?« entrüstete sich die Rotblonde (mittlerer Güteklasse).
»Lassen Sie nur, Jutta«, sagte der von Herresheim milde lächelnd. »Es ist nur die Wiedersehensfreude. Wir sind alte Bekannte. Hier, lieber Freund, bringe ich Ihnen alle Papiere, die Sie für Ihr Entwicklungshilfeprojekt benötigen.« Er drückte die Mappe Jakob in die linke Hand und schüttelte dem Erschütterten, der mit total blödsinnigem Gesichtsausdruck dasaß, markig die Rechte mit der eigenen Rechten.
»Wie kommen Sie hierher?« erkundigte sich Jakob endlich, leicht lallend.
Der von Herresheim lächelte väterlich und blickte stumm die Rotblonde (mittlerer Güteklasse) namens Jutta an.
»Herr von Herresheim ist der Persönliche Referent des Herrn Vorstands der Abteilung römisch sechs«, sagte die Jutta.
»Nun, also dann: Glück auf«, sagte der von Herresheim herzlich.
Jakob erhob sich mit der festen Absicht, dem Kerl in die ölig grinsende Fresse zu schlagen.
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