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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Pünktlichkeit – das macht der LUFTHANSA wohl keine andere Gesellschaft nach.«
    Um seine mehr als einhundertzwanzig Gäste standesgemäß unterzubringen, hatte Jakob im HÔTEL DU CAP auf Eden Roc Zimmer gemietet – einen Katzensprung entfernt. Damit auch alle die schönsten Zimmer und den besten Service bekamen, hatte er das Hotel einfach für die ganze Saison gemietet …
    ›Lady, be good‹, spielte das zweite Orchester nun.
    »Signore Giorgio Terulli und Signora Maria«, flüsterte Claudia Jakob ins Ohr.
    Ein gutaussehender, glutäugiger Italiener (Chef der italienischen Historischen Sammlungen, erinnerte Jakob sich) stand vor ihm und zeigte sein prachtvolles Gebiß in einem freundlichen Lächeln.
    »Good evening, Sir, good evening, Madam«, sagte Jakob zum vierundneunzigsten Mal, dem Hübschen die Hand schüttelnd, »thank you ever so much for coming.« Dann wandte er sich seitlich, um Signora Terulli die Hand zu küssen, und wieder einmal begann die Narbe an seiner Schläfe stürmisch zu pochen.
    Nein!
    Nein und nein und nein!
    Das gibt es nicht. Das ist unmöglich. Das kann nicht wahr sein.
    Jakob kannte auch die Signora Maria Terulli! Er kannte sie in- und auswendig, und inwendig sozusagen besonders gut. Es handelte sich – Schreck, laß nach! – um niemand anderen als um das Woditschka Reserl, das unter dem Namen Gloria Cadillac im Brüsseler Nachtlokal ›Chatte noire‹ vor fünfzehn Jahren gestrippt hatte in einer Weise, daß der Schieber Rouvier fast einen Herzanfall bekam jedesmal, wenn sie am Ende ihrer Darbietung für Sekundenbruchteile, bevor das Licht auf der Bühne erlosch, alles zeigte.
    Das Woditschka Reserl aus Wien …
    Die mit dem ungeheuerlichen Dialekt.
    Die mit dem ungeheuerlichen Sex-Appetit.
    Die mit dem unglaublichen Ottakring-Amerikanisch. (»Schur, sanny-boi, schur …«)
    Die hat den Chef der italienischen Historischen Sammlungen geheiratet? dachte Jakob, sie bebend betrachtend. Dieses kleine, süße Ferkel? Die war damals aber doch rothaarig? Jetzt ist sie erblondet. Sehr stark erblondet. Die Haare trägt sie wie eine Madonna. Schlicht, voll größter Würde und Einfachheit ist sie gekleidet, die Woditschka-Reserl-Madonna.
    Um alles in der Welt, was ist da wieder passiert?
    Damals in Brüssel habe ich aber doch ganz anders geheißen? Wenn das Reserl das jetzt sagt! Wenn die sich jetzt an damals erinnert – an alles, was wir getrieben haben in der Rue du Canal, bevor sie nach Rom abgefahren ist. Wenn …
    Aus. Alles ist aus. Gleich wird das Reserl sagen: »Jessesmarandjosef, halt’s mi fest, i scheiß mi an, des is ja der Miguel … der Sennjohr Miguel Santiago Cortez!«

23
    »Guten Abend«, sagte das Woditschka Reserl alias Gloria Cadillac, nunmehr Signora Maria Terulli, in feinstem Hochdeutsch. »Ich bin glücklich, hier sein zu dürfen, liebe gnädige Frau, lieber Herr Formann. Möge Gott der Allmächtige Sie behüten und beschützen in Ihrem neuen Heim und mit Ihnen sein auf allen Ihren Wegen. Ja, ja, mein Mann und ich sprechen deutsch!« Sie redete feierlich, und da war kein Falsch, kein Ich-verrat-dich-schon-nicht-Blick in ihren Augen. Klar und fest sah sie Jakob an. Der dachte: Die kann doch nicht alles vergessen haben, das gibt es doch nicht.
    Das Reserl hatte alles vergessen, so etwas gibt es eben doch.
    Ihr fast allzu schöner Mann sprach, ebenfalls in bestem Deutsch: »Meine geliebte Maria empfiehlt alle Menschen der Gnade und Güte Gottes. Bevor ich sie kennenlernte, war sie Schauspielerin. Doch dann erschien dieser Beruf ihr hohl und leer. Sie wollte ihrem Leben einen Sinn geben.«
    »Sinn geben …«, lallte Jakob blödsinnig.
    »Gewiß, Herr Formann«, sagte die Woditschka-Reserl-Madonna ernst. »Ich habe mich schon immer für Religions- und Glaubensfragen interessiert. So legte ich denn in Rom nach langem Studium die Prüfung als Religionslehrerin ab …« Jetzt trifft mich der Schlag, dachte Jakob und sein Schädel schmerzte, so sehr pochte die Narbe. Religionslehrerin ist sie geworden, dieses muntere Vögelein! »… und gebe seither Unterricht. Sie können sich nicht vorstellen, welch innerer Friede, welche Ausgeglichenheit, welch göttliche Ruhe mir das schenkt, Herr Formann, wenn ich …« Ihre weiteren Worte waren nicht mehr zu verstehen, denn rapide schwoll das Dröhnen eines Hubschrauber-Rotors an, der sich aus dem Nachthimmel herabsenkte.
    Scheinwerfer flammten auf. Taghell erleuchteten sie ein großes Stück der riesigen Wiese. Die

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