Hurra, wir leben noch
Bestie Lady Cordine, nunmehr Gattin eines der fünf größten Bankiers Großbritanniens, die sieht mich immer weiter mit ihrem Eiszapfenblick an, das halte ich nicht aus, das habe ich nicht verdient! Oder habe ich doch? Ach was, ich schau einfach nicht mehr hin!
»… heilige unseren demütigen Eingang«, sprach der nette, fette Violette, den Kessel schwingend. (Die Hitze hier und dieser Geruch nach Weihrauch – hoffentlich übergibt sich keiner! dachte Jakob. Er setzt einem schon zu, der Geruch. Mir nicht. Ich habe einen Magen, der kann alles vertragen. Aber da sehe ich ein paar Damen, die sind so komisch blaß, manche grünlich. Ob die Einsegnung noch lange dauert? Das ist ja alles ganz phantastisch, und keiner von den Säcken hier hat sich noch einen Violetten zum Segnen seines Hauses geholt, aber wenn da jetzt eine [oder mehrere] loszureihern beginnen – dem Marmorboden macht’s ja nichts. Nur stehen wir so gedrängt. Und da kriegen es die anderen dann womöglich ins Genick. Nun mach schon, Exzellenz, mach zu!)
»… der Du heilig und gütig bist und mit dem Vater und dem Heiligen Geiste bleibest von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen …«
Na Gott sei Dank, dachte Jakob, ist ja unerträglich hier. Das Hemd, durchgeschwitzt, klebt mir am Leibe. Jetzt ist aber Schluß.
Falsch gedacht!
Der Violette fuhr (ihm lief auch der Schweiß über das freundliche, runde, rosige Antlitz) mit erhobener Stimme fort: »Lasset uns beten und flehen zu unserem Herrn Jesus Christus …«
Na ja, klar, wegen ein paar Minuten Kesselschwingen allein ist der nicht aus Rom heraufgeflogen, das geht noch weiter, eieiei …
»… Er möge mit der Fülle Seines Segens segnen dieses Haus und alle, die in ihm wohnen, ihnen seine guten Engel zu Schützern geben und in Gnaden wirken, daß sie Ihm dienen und die Wunder Seines Gesetzes beherzigen …«
Verflucht, warum macht der Violette nicht endlich Schluß? dachte Jakob. Hört das denn nie auf? Will der uns hier umbringen mit seiner Segenspenderei? Vielleicht war es doch keine so gute Idee, die ich da gehabt habe, die mit dem Violetten …
25
»Noch mehr Kaviar, Eure Exzellenz? Ich bitte Sie, nehmen Sie doch, nehmen Sie doch«, bat Jakob eine halbe Stunde später.
»Vergelt’s Gott«, sprach der Violette und schaufelte noch ein paar Löffel Kaviar aus der kristallenen Schale, die der servierende Kellner ihm hinhielt.
Sie waren, nach der schweißtreibenden Einsegnung, inzwischen alle wieder getrocknet, und saßen beim Essen an drei langen Tafeln unter einem sternenbesäten Nachthimmel. Jakob hatte zuvor noch einen Riesenkrach mit den drei Orchesterchefs gehabt, weil keine Kapelle ein Harmonium besaß. Ungeheuerlich, so etwas! Wollten die Kerls dem Violetten vielleicht ›La Cuccaracca‹ oder ›It’s awful nice‹ vorspielen? Wenn man nicht an alles denkt!
Der Violette hatte ihn beruhigt. »Ich bitte Sie, lieber Herr Formann, ich bitte Sie! Ich liebe Jazz. Wirklich! Die Kirche geht mit der Zeit. Das muß sie doch …«
»Ja, wirklich? Ach, da bin ich erleichtert. Was hören Hochwürdigste Exzellenz denn am liebsten?«
»Nun, mein Sohn, am liebsten höre ich Lieder von Frank Sinatra«, war die Antwort des Violetten gewesen. Wie meine Hühner, hatte Jakob erstaunt gedacht und entsprechende Anweisungen gegeben. Der Violette bekam so viele Sinatra-Lieder zu hören, wie die Rhythm & Soul-Kapelle nur kannte, und sie kannte eine Menge. Leider sang nicht Frankie-Boy persönlich, sondern nur ein sehr berühmter europäischer Star.
»Wenn ich eine Ahnung gehabt hätte, Exzellenz, wenn ich die geringste Ahnung gehabt hätte … natürlich stünde jetzt Frank Sinatra da droben auf dem Podium«, sagte Jakob.
»Ich bitte Sie, mein Sohn«, sagte der Violette, Kaviar löffelnd, »dieser Signore ist doch auch hervorragend.« Ein großer Schluck ›Dom Perignon‹. »Entschuldigen Sie, liebe Tochter, Sie haben mir noch nicht alles erzählt. Fahren Sie fort, ich bitte, fahren Sie fort!« Der Violette, an der Spitze eines Tisches, hatte sich dem so fromm gewordenen Woditschka Reserl – Pardon, der Signora Maria Terulli – zugewandt, Gattin des Chefs der italienischen Historischen Sammlungen. Sie saß infolge der von der lieben Natascha umgeschmissenen Tischordnung Jakob gegenüber, auf der anderen Seite des Violetten, und hatte diesem bereits eine Menge über ihre Tätigkeit als Religionslehrerin erzählt.
Es ist nicht zu fassen, dachte Jakob, nein, nein, nein, es ist einfach nicht zu
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