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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Zeitentwicklung, an den Umständen … So müssen Sie denken, Chef! Sie sind doch ein großer Mann! Der größte, den ich kenne! Und das wollen Sie doch noch lange bleiben – oder?«
    »Eigentlich schon«, sagte Jakob nach gründlichem Überlegen.
    »Eben. Übrigens komme ich gerade deshalb zu Ihnen!«
    »Weshalb?«
    »Ich muß mit Ihnen reden. Grundsätzlich. Ich werde mein Leben ändern. Sie müssen auch manches in Ihrem Leben ändern. Die Zeiten sind nicht mehr so, wie sie waren. Oder vielleicht sind sie es noch, aber sie werden es nicht mehr lange bleiben.«
    Jakob fuhr hoch.
    »Sie meinen, es wird einen wirtschaftlichen Rückschlag geben?«
    »Wird?« Schreiber schüttelte den Kopf. »Muß, Chef, muß! Oder meinen Sie, mit unserem Schlaraffenparadies geht das immer so weiter und weiter?«
    »Hm …« Jakob sah Schreiber grübelnd an. »Ich kann es noch immer nicht fassen, daß Sie nicht mehr saufen und nicht mehr stottern«, sagte er.
    »Es wird bald eine Zeit kommen, in der viele vieles nicht fassen können, Chef! Schauen Sie: Wir überreißen einfach alles. Wir glauben hier in Deutschland, uns ist keiner gewachsen, wir können immer und immer so weitermachen! Das ist der große Irrtum! Bei Ihren vielen anderen Geschäften, da kenne ich mich nicht aus. Aber bei OKAY schon!«
    »Die Auflage von OKAY ist so hoch wie noch nie!«
    »Eben drum.«
    »Was ›eben drum‹?«
    »Eben drum müssen Sie OKAY verkaufen«, sagte Klaus Mario Schreiber.

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    »Verkaufen?« echote Jakob Formann.
    »Und zwar gleich! Jetzt, wo Sie noch am meisten dafür kriegen! Jeder Auflage sind Grenzen gesetzt. Bei OKAY ist diese Grenze erreicht, wenn nicht schon überschritten. Die Auflage kann nur noch fallen – und wenn wir noch so gut sind! Gute Illustrierte werden bald schon nicht mehr gefragt sein, Chef! Die Zeiten haben sich auch hier geändert! Alles hat sich geändert, Chef, alles!«
    »Zum Beispiel was, Schreiber?«
    Schreiber sagte (in fließender Sprache und mit melodiöser Stimme), was sich zum Beispiel geändert hatte, obwohl es den Deutschen noch wie Gold ging …
    Also zum Beispiel:
    In der Stahlindustrie wurden Massenentlassungen für das übernächste Jahr erwogen.
    Bonns jüngstes Volksaktien-Papier VEBA war auf dem besten Wege, unter die Ausgabequote zu sinken.
    Das Bundeswirtschaftsministerium sagte für die Bundesrepublik Deutschland voraus, daß die Wachstumsrate von noch 4,4 Prozent auf 3,4 Prozent zurückgehen würde.
    Im Jahresbericht der Industrie- und Handelskammer Dortmund hieß es, daß zwar noch alles in Ordnung sei, daß indessen schon das Jahr 1966 ›erstmalig eine echte Krise‹ bringen könne. Das Investitionsklima sei schon merklich abgekühlt, außerdem müsse mit scharfen Arbeitskämpfen gerechnet werden …
    »… und so weiter und so weiter«, sprach Klaus Mario Schreiber. »Diese Warnsignale für die nahe Zukunft – ich interessiere mich sehr für Wirtschaft, wissen Sie, Chef – werden sehr bald eine Wohlstandsgesellschaft beunruhigen, für die der Konsum längst nicht mehr nur der Abwehr materieller Not dient!«
    Jakob war nachdenklich geworden.
    »Erinnern Sie sich, Chef!« bat Schreiber. »1947 haben sich die Menschen noch mit Tonseife den Dreck vom Körper geschabt. Im nächsten Jahr, so die Voraussage, werden sie eintausendundzweiunddreißig Millionen Mark für Körperpflegemittel ausgeben. Das geht überall so! Erich Kuby, dieser prima Kerl und gescheite Autor, hat über ›die Plage mit dem Wohlstand‹ geschrieben, und daß ihretwegen die ›Zeit der schönen Not‹ vergessen worden ist! Die Alten unter den Wunderkindern sind ohnedies der Ansicht, daß das alles auf die Dauer nicht so weitergehen kann! Die erinnern sich noch an die Zeit, in der in Frankfurt Vitaminpillen verteilt worden sind und ein Göttinger Universitätsprofessor der Bevölkerung geraten hat: ›Schlaft mehr und geht früher ins Bett, denn dadurch spart ihr Kalorien!‹«
    Jakob schüttelte den Kopf.
    »Schreiber, Sie gefallen mir nicht. Ihnen fehlt der Whisky. Besoffen waren Sie immer so lustig und optimistisch. Jetzt, nüchtern, sind Sie ein altes Klageweib, das mir Angst machen will!«
    »Ich will Ihnen keine Angst machen, Chef. Ich habe Sie sehr, sehr gerne. Sie waren immer gut zu mir. Ich will Sie warnen und beschützen.«
    »Das ist lieb von Ihnen, aber Sie übertreiben!«
    »Ich übertreibe gar nicht!« Schreiber regte sich auf. »Erinnern Sie sich! 1947, im Hochsommer, hat man in Deutschland – einmalig

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