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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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Schreiber? Haben Sie keinen Zwillingsbruder?«
    »Nein, warum, Chef?«
    »Der Schreiber, den ich gekannt habe, der alte Saufaus, der hat immer gestottert, aber wie!«
    »Das war ich, Chef! Ich!«
    »Sie? Und jetzt … jetzt reden Sie ganz fließend?«
    »So ist es, Chef. Nach der Entwöhnungskur war es mit der Stotterei vorbei. Weiß ich, warum! Zuerst habe ich auch einen mächtigen Schreck gekriegt und gedacht, ich bin nicht mehr der alte und werde nie mehr schreiben können ohne Saufen und Stottern, aber das hat mir der Cornel dann ausgeredet.«
    »Unglaublich! Meinen herzlichsten Glückwunsch!«
    Schreiber wurde ernst.
    »Sie haben einen hübschen kleinen Zusammenbruch gehabt, höre ich.«
    »Habe ich auch. Die Idioten hier sagen zwar, ich bin vollkommen gesund, aber ich fühle mich nicht so«, bekannte Jakob. »Ich fühle mich beschissen! Kommen Sie mal näher, Schreiber. Noch näher, ich muß es Ihnen ins Ohr sagen, es darf kein anderer hören …«
    »Um was handelt es sich denn?«
    »Ich habe solche entsetzlichen Schuldgefühle!«
    »Weshalb?«
    »Wegen einer Steuergeschichte!«
    »Was für eine Steuergeschichte?«
    Jakob flüsterte in Schreibers Ohr …

41
    »Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Chef«, sagte Schreiber sechs Minuten später. »Da muß ich Ihnen sofort etwas Lustiges erzählen. Mir hat es der Cornel erzählt. Also: Vater und Mutter kommen zum Psychiater. Vollkommen verzweifelt. Warum sind Sie so verzweifelt? fragt der Psychiater. Wegen unserem Sohn, Herr Doktor. Was fehlt denn dem Herrn Sohn? Er pischt jede Nacht ins Bett, Herr Doktor. Na ja, na ja, sagt der Doktor, das tun viele. Wie alt ist denn Ihr Sohn? Fünfzehn, Herr Doktor. Hm, hm, hm, sagt der Psychiater. Da ist er schon ein bißchen zu alt dafür – eigentlich! Das ist es ja, heult die arme Mutter los. Deshalb hat der Bub ja auch so entsetzliche Schuldgefühle! Daraufhin sagt der Psychiater: Also, passen Sie auf, wir werden das schon in Ordnung bringen. Schicken Sie mir Ihren Herrn Sohn her, sagen wir morgen um vier. Danke, Herr Doktor, sagt der Vater. Und am nächsten Tag um vier kommt der Sohn zum Psychiater. Große Zeitblende! Ein dreiviertel Jahr später trifft der Psychiater den Vater auf der Straße. Hallo, ruft er. Wie geht’s? Ausgezeichnet, strahlt der Vater. Und wie geht es dem Herrn Sohn, den ich behandelt habe? Auch ausgezeichnet, lieber Herr Doktor, wir werden Ihnen nie genug danken können!
    Ah, sagt der Psychiater mit stolzer Bescheidenheit, meine Behandlung hat also hingehauen? Und wie! jubelt der Vater. Und wie, Herr Doktor! Also, der Herr Sohn pischt nicht mehr ins Bett? fragt der Arzt. Schaut ihn der Vater groß an und sagt: Aber natürlich pischt er noch ins Bett, Herr Doktor. Nacht für Nacht! Wie früher! Aber jetzt ist er
stolz
drauf! Und Schuldgefühle hat er überhaupt keine mehr!« Schreiber verschluckte sich bei seinem Heiterkeitsausbruch. »Gut, was? Schuldgefühle hat er überhaupt keine mehr!«
    Jakob lag ganz still.
    »Was ist denn? Hat Ihnen der Witz nicht gefallen?«
    »Nein, Schreiber«, sagte Jakob.
    »Wieso nicht?«
    »Sie wollten mich trösten, das war lieb von Ihnen. Aber sehen Sie, wenn Sie diese Geschichte da erzählt haben, um den Herrn Sohn mit mir zu vergleichen – dann stimmt das nicht! Ich habe nie ins Bett gepischt, und trotzdem habe ich Schuldgefühle, das ist ja das Entsetzliche!«
    »Nie ins Bett … Ah, Sie meinen, Sie haben nie die Steuer beschissen!«
    »So ist es. Das hat doch der Arnusch Franzl gemacht!«
    »Na, den haben Sie doch aber rausgefeuert, Chef!«
    »Stimmt. Aber ich kann das, was er ins Bett ge … äh, was er gegen die Steuer verbrochen hat, nicht mehr gutmachen. Sonst bin ich pleite.« Schreiber schlug auf die Bettkante.
    »Jetzt übertreiben Sie aber, Chef! Jetzt machen Sie Theater, jetzt reden Sie sich in was hinein!« Klaus Mario Schreiber neigte sich über Jakob. »Chef, Sie müssen raus aus diesem Teufelskreis! Ich, ich habe ja inzwischen auch ein bißchen Psychiatrie gelernt – nicht freiwillig. Sie reden sich da in einen Schuldkomplex hinein! Mehr und mehr! Das dürfen Sie nicht tun! Sie gehen mir ja sonst noch zugrunde! Die Steuer hat der Arnusch beschissen und nicht Sie! Das müssen Sie sich hundertmal am Tag sagen! Und auch das: Ich habe es nicht gewußt. Mich trifft daran keine Schuld. Als ich es wußte, habe ich den Kerl sofort rausgeschmissen. Daß ich den Schaden nicht mehr gutmachen kann, ist auch nicht meine Schuld, das liegt an der

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