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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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ihn ganz z’riss’n, den Lumpen, den elenden. Drum hams uns ja alle zammg’holt. Und deswgn san ja de Fahnen aa bloß halbert aufzogn! Na, na, der is hi, da gibt’s nix!«
    Also, das ist doch …
    Ein Mann in mittleren Jahren, mit zerschrammtem Gesicht und wunden Händen, Pflaster darauf, angetan mit einer sehr abgetragenen Hose, einer sehr abgetragenen Jacke von undefinierbarer Farbe (an den Ellbogen Lederherzen!), einem zerdrückten grünlichen Hemd, am Halse offen, und einer Schirmmütze, die tief ins Gesicht gedrückt war, konnte sich nicht fassen vor Empörung. Er stand, eingekeilt in die Menge der Arbeiter, in der größten Halle des Fertigbauwerks München-Solln und hatte bebend vernommen, was der Betriebsratsvorsitzende, ein braver, gläubiger Bayer, ein wenig mühsam aus einem kleinen schwarzen Buch da vorlas.
    Hirnschall, so heißt der Sack, dachte Jakob Formann, denn um ihn handelte es sich bei dem schäbig gekleideten Mann inmitten der Arbeiterschaft des Münchner Werks (Sie haben es doch nicht etwa schon vermutet?), Alois Hirnschall heißt der fromme Herr. Wahrscheinlich hat auch er angeordnet, daß die beiden Fahnen – die bundesdeutsche und die österreichische – draußen auf den Stangen beim Werkeingang halbmast zeigen –, und diese Trauergemeinde hat er auch zusammengetrommelt, Angestellte und Arbeiter, Putzfrauen und Direktoren, alles, das sieht ihm ähnlich, diesem Gschaftlhuber, diesem schwarzen, und jetzt muß er auch noch aus dem Büchl da das Gebet über mein seliges Sterben vorlesen, das Rindvieh, und wer paßt draußen auf? Kein Mensch. Nicht mal ein Portier war da, wie die beiden türkischen Gastarbeiter mich abgesetzt haben. Keine Maschine ist gelaufen. Ich habe gedacht, die sind hier alle ausgerissen oder machen Streik, und dann komme ich in die Halle fünf und sehe und höre so was, also, nein, pfui Teufel noch mal!
    »… laß nicht zu, wir bitten Dich, daß Jakob Formann ohne Reue aus diesem Leben geschieden und gänzlich unversehen vom Tode überrascht worden ist«, las der Betriebsratsvorsitzende Alois Hirnschall, geboren in Tuntenhausen, Oberbayern, etwas mühsam, aber desto inbrünstiger weiter. Das Podest, auf dem Hirnschall seine Andacht zelebrierte, war schwarz drapiert mit einem Stück jener Kunststoff-Folie, die, in Streifen geschnitten, zum Abdichten der Verbundstellen an den Fertighäusern diente.
    Einen Geistlichen Herrn hat der Hirnschall so auf die schnelle nicht auftreiben können, darum macht er es selber, dachte Jakob. Der Hirnschall ist ein guter Kerl, nur so entsetzlich hastig und impulsiv (auch bei Verhandlungen über Lohnerhöhungen), ich muß unbedingt was unternehmen, ich muß sagen, daß er aufhören soll, weil ich noch lebe, das ist ja nicht zum Anhören! Verflucht, wenn ich nur nicht so eingeklemmt wäre. Eine dicke Luft ist das hier. Kaum zu atmen! Na, ich werde mal laut schreien: »Ich lebe noch, Hirnschall!« Dann wird er schon aufhören. Jakob öffnete den Mund, um seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen, da hörte er einen Arbeiter zu einem anderen sagen: »Scheiß doch auf’n Formann. Reue! Was hat denn den scho g’reut, den Ausbeuter, den dreckat’n.«
    »Da hast amal recht«, sagte sein Kollege nickend. »Und G’wiss’n hat er aa koans g’habt. A typischer Scheißkapitalist halt.«
    Also, das ist doch …
    Jakob schoß das Blut ins Gesicht. Er wollte den beiden eine knallen (somit zwei, jedem eine), aber er bekam den Arm nicht hoch, so dichtgedrängt standen sie hier zwischen den Maschinen.
    »… wenn Jakob Formann alles verlassen hat, was man an hinfälligen und vergänglichen Gütern dieser Zeit besitzen kann, dann verlasse Du den Jakob Formann nicht, besonders nicht in dem letzten Kampf seines Lebens …«
    »Was der scho zum Kämpfen g’habt hat, möcht’ i wissen«, fing ein anderer Arbeiter, hinter Jakob, an. »Multimillionär is er g’wesen! Unseroans muaß kämpfen um jedes Markl, aba der mit seine Flugzeug und Mercedes und Weiber und Häuser, der Hund, der verreckte, der hat doch überhaupt net g’wußt, wos des hoaßt: kämpfen!«
    »Recht hast, Ferdl«, ertönte eine andere Stimme hinter Jakob. »Der hat allawei im Luxus g’lebt und Weiba g’habt und g’soffen, und dauernd is er spaziereng’flogen mit seine Dschets, und mir, mir ham uns krumm und bucklat schuften derfa weg’n eahm …«
    »…wenn Jakob Formann mit dem bösen Feind hat ringen müssen«, las der Betriebsratsvorsitzende Hirnschall, leiernd und

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