Hurra, wir leben noch
drehte sich um und musterte ihn angewidert.
»Was is los?«
»Nach Starnberg«, wiederholte Jakob, der eisern an sich hielt, »sollen Sie mich fahren. Wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht oder vielleicht unangenehm ist.«
»Du bist b’soffen, was?«
»Nein! Ja! Das auch! Aber nicht mehr so sehr! Also wollen Sie nun fahren oder nicht?«
»Starnberg! Des is a schöns Stück Weg! Des kannst du doch nia bezahlen! Also los, los, los, schau, daß du aus mei’m Kübel rauskommst!«
Jakob schnappte nach Luft. »Wie reden Sie denn mit mir, Sie Lümmel?«
»Hast du Lümmel g’sagt, du Mausdreck, du aufg’stellter? Na wart, dir geb’ i glei’ an Lümmel!« Der Chauffeur stieg aus, ging um das Taxi herum, riß den Schlag an Jakobs Seite auf und zerrte unsern Freund heraus. Jakob hatte jetzt genug. Er holte weit aus und traf den Chauffeur mit einem rechten Schwinger direkt an der Kinnspitze. Der stürzte in den Schnee wie ein gefällter Baum. Klassischer K.o.
Jakob stieg über ihn hinweg und setzte sich in das Taxi hinter dem ersten. Der Chauffeur war ein kleiner, magerer Mann, der alles mit angesehen hatte und nun, um sein Leben fürchtend, die Hände hob.
»I hab’ Ihnen nix getan! Steigen S’ aus, Herr! Nehmen S’ a anderes Taxi!«
»Es sind nur Sie und der Kerl da am Stand!« sagte Jakob grimmig. Er hatte sich neben den Chauffeur gesetzt. Der griff in Verzweiflung zu dem kleinen Mikrofon, das am Armaturenbrett hing, und hob es an den Mund, um seiner Zentrale einen Notruf zu geben. Jakob riß ihm das Mikrofon aus der Hand und sicherheitshalber gleich das Kabel ab, an dem es hing.
»Hilfe!« schrie der Kleine. »Hilfe! A Verrückter! Der is aus Haar auskumma!«
Jakob wühlte in einer Tasche der Jacke des ersten türkischen Gastarbeiters. (Die Hose war vom zweiten.) Jakob suchte und fand einen Haufen Geldscheine. Die hielt er dem bebenden Chauffeur unter die Nase. »Da! Ich hab’ Geld! Ich will nach Starnberg! Zum Formann-Schloß! Ich bin der Formann!«
»Sie … sind … Um Gottes willen, der bringt mi um! Der glaubt, er is der Herr Formann! Hilfe!«
Jakob stopfte dem Chauffeur wahllos Scheine in die Tasche.
»Also, fahren Sie jetzt?«
Der Kleine betrachtete ihn bebend.
Dann sah er nach, was Jakob ihm in die Tasche gestopft hatte.
»Wenn ma’s net so dringend brauchen tät«, murmelte er. »Also schön, wie der Herr meinen. Zum Formann-Schloß am Starnberger See. Sie, aba ich warne Sie! I hab’ a Pistole!«
»Ach, leck mich doch am Arsch«, sagte Jakob, endgültig verärgert. Sonderbarerweise brachte die Aufforderung dem Kleinen neuen Lebensmut und ließ seine Ängste schwinden.
Er lachte sogar.
Die erwähnte Aufforderung ist nach höchstrichterlicher Entscheidung im Freistaat Bayern keine Beleidigung. Hingegen häufig ein Grund zur Erheiterung.
»Du g’fallst ma«, sagte der Kleine zu Jakob Formann und fuhr los.
Den Schrecken seines Lebens bekam er erst in Starnberg, als drei Diener aus dem Schloß Jakob Formann entgegeneilten, nachdem der Wagen vor der Treppe zum Eingang gehalten hatte, ihm aus dem Wagen halfen, in Glück- und Segenswünsche ausbrachen (auch sie hatten Radio gehört) und Tränen der Erleichterung und Freude vergossen. Da erwischte es den Taxichauffeur! Er saß mit offenem Mund da und würgte.
»Na los, fahren Sie schon ab, Mann«, sagte Jakob. »Geld genug habe ich Ihnen in die Tasche gestopft. Los, hauen Sie ab!«
»Sie … Sie … Sie sind wirklich der Herr Jakob Formann …«
»Das habe ich Ihnen von Anfang an gesagt, Sie Trottel. Los, fahren Sie ab!«
»I kann net … mir is schlecht … ich … ogottogottogott …« Der Chauffeur brach über dem Lenkrad zusammen.
»Nehmt ihn mit in die Küche und gebt ihm einen ordentlichen Kaffee und einen großen Kognak«, sagte Jakob. »Ihr seht ja, es steht nicht gut um den armen Kerl …«
Während heißes Wasser in die Wanne floß, in der Jakob sich zu reinigen gedachte, telefonierte er mit dem Münchner Büro der Deutschen Presse-Agentur, welches sich in der Sonnenstraße befindet.
Die Folge dieses Gesprächs war eine Meldung, die von der Hamburger Zentrale sodann über die Fernschreiber gejagt wurde. Sie lautete:
eil eil
dpa 423
muenchen 26. Januar 1965
formann lebt
jakob formann hat autounfall auf der mangfallbruecke unversehrt ueberstanden und befindet sich zur zeit in seinem schloss am starnberger see. alle vorangegangenen meldungen ueber seinen tod sind damit gegenstandslos. dpa wurde opfer
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