Hurra, wir leben noch
verstehn.«
»Brücke. Ich. Ihr Auto.« Jakob sprach automatisch wie ein Mann, der nur ein paar Worte Deutsch kann. Er war der Überzeugung, daß ihn die Türken so viel besser verstehen könnten.
»Ja, ja. Du gut. Wir …« Es folgte eine Flut türkischer Erklärungen.
Jakob verstand kein Wort. »Aha«, sagte er. Und noch einmal: »Aha.« Er klopfte den beiden Türken auf die Schultern. »Danke! Danke! Danke!«
»Was?«
»Danke! Thank you! Merci! Spassibo! Grazie …« Was heißt ›danke‹ auf türkisch? Der Mensch kann nicht alles wissen.
Der Wagen schleuderte und schlidderte auf der vereisten Autobahn, daß es eine Lust war. Der Türke am Steuer hielt eisern den Fuß auf dem Gashebel. Jakob sah auf das Armaturenbrett. Fünfundneunzig Stundenkilometer. Gelobt sei Jesus Christus! Und was ist das da? Eine Uhr ist das da. Und was zeigt die Uhr? Die Uhr zeigt die Zeit: 8 Uhr 58. Fast neun. Es ist schon hell draußen! Und es schneit wie verrückt. Fast neun. Nie im Leben komme ich mehr zu meiner Aufsichtsratssitzung zurecht! Die habe ich selber angesetzt. In meiner Münchner Fertighausfabrik, der ganz großen, da draußen in Solln. Wichtige Dinge sind mit den Direktoren meiner ausländischen und überseeischen Niederlassungen zu besprechen. Den Jaschke brauche ich nicht dazu. Darum habe ich ihn ja auch im IMPERIAL schlafen lassen. Eigentlich sollte er natürlich doch dabeisein. Aber ich hab’s nicht über mich gebracht, ihn zu wecken. Ich kann ihn sehr gut vertreten.
Sehr gut vertreten …
Wie?
So?
In diesem verdreckten Frack?
Was heißt verdreckten Frack?
So verdreckt, wie der ganze Jakob Formann, seiner Zeit immer um zwei Schritte verdreckt voraus, ist? Ich kann sehen,
wie
verdreckt ich bin, da vorne, im Rückspiegel, sehe ich mich. Großer Gott im Himmel, so was Dreckiges hat die Welt noch nicht gesehen! Ich muß aber zu der Vorstandssitzung. Natürlich nicht in diesem Zustand. Also muß ich mich schnell waschen im Werk. Aber der Scheißfrack! In dem kann ich doch unmöglich, also das ist doch absolut ausgeschlossen, daß ich in dem vor meine Direktoren trete und …
Was?
Was ist das?
Was sagt der Rechte da zu mir mit gewinnendem Lächeln?
»Wir Gastarbeiter«, sagte er mit gewinnendem Lächeln und zeigt auf sich und seinen Freund.
»Aha«, sage ich. Habe ich es mir doch gleich gedacht.
»Du schön Kleid …«
»Bitte?«
»Schön Kleid, du … wir arm … keine schön Kleid …« Und wieder ein türkischer Wortschwall.
Kein schön Kleid?
Den beiden gefällt mein Scheißfrack. Ist ja auch von einem erstklassigen Schneider! Und wenn man ihn reinigt … und ein bißchen zusammennäht …
»Wir tau … tau … tau … ja?«
Tauschen will der! Mensch, das ist die Rettung! Die haben doch ihre Klamotten in den Koffern! Die geben mir was, und ich gebe ihnen den Scheißfrack! Die Rettung! Die Rettung ist da! Was so ein Jakob Formann ist, der geht eben nicht unter.
»Du wollen …?«
»Klar will ich! Mit Vergnügen! Da vorne ist ein Parkplatz!« Jakob zeigte wie irre nach rechts. »Fahrt da rein! Das können wir gleich machen! Ihr müßt mich dann aber auch noch nach Solln hinausfahren, ich habe es wahnsinnig eilig, ich komme ohnehin schon viel zu spät!« sprudelte Jakob.
»Solln!«
Die Türken verstanden keines seiner Worte und verstanden dennoch, was er wollte. Der am Steuer fuhr schon in den hohen Schnee eines Parkplatzes im Hofoldinger Forst. Der Wagen hielt. Noch bevor der Türke rechts ausgestiegen war und einen Persilkarton geöffnet hatte, war Jakob schon aus Frackjackett, Frackweste und Frackhose geschlüpft …
52
»Herr über Leben und Tod, Jesus Christus, dem wir leben und dem wir sterben, wir bitten Dich bei Deinem hochheiligen und schweren Tode am Kreuz, verleihe Jakob Formann, daß Deine Ankunft bei seinem Tode ihn nicht als schlafenden, unvorbereiteten und trägen, sondern als wachen und guten Knecht angetroffen hat …«
»Was woaß denn der Depp, ob er aa wirklich hi is, der Formann?«
»Im Radio ham s’ es g’sagt um achte, daß s’ koa Spur g’funden ham von eahm da in der Mangfallschlucht und daß er mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sich … naa, umgekehrt: daß er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hi is. Verbrennt in seinem Schlitten, vastehst, Seppl?«
»Da hätten s’ doch aba wenigstens a paar Knochen finden müssen von dem Hund – aba gar nix?«
»Sag des net, Dschonni. Wenn er mit seim Rolls explodiert is, nacher hat’s
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