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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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cheers, mein Alter!«
    »Cheers, mein Guter!«
    Diese ebenso geistreiche wie gediegene Konversation hatte am Abend des 11. November 1945 in einer Villa in dem exklusiven Wiener Randbezirk Pötzleinsdorf und daselbst in einem großen Badezimmer stattgefunden. Nun, am Abend des 1. Januar 1947 im Türrahmen seines Schlafwagenabteils stehend und den schokoladefressenden Herrn auf dem Unterbett betrachtend, fiel Jakob alles, was damals passiert war, wieder ein – in einer Sekunde.
    Ein Badezimmer!
    Jakob lag nackt in der Wanne, wohlig Whiskey aus einem Kristallglas schlürfend (obwohl er Antialkoholiker war – aber die Gesundheit ist des Menschen höchstes Gut!), in wunderbar warmem, weichem Wasser. Es war das erste Bad seit seiner Selbstbefreiung aus russischer Gefangenschaft. Er hatte ein Bad nötig. Er hatte einen Whiskey nötig. Er hatte ein Dach über dem Kopf nötig. Es gab nichts, was Jakob nicht nötig gehabt hätte an diesem Novemberabend des Jahres 1945.
    Auf dem geschlossenen Klosett saß der Mann, den er Franzl genannt hatte, in einem erstklassigen Kammgarnanzug, mit Seidenhemd samt eingestickten Buchstaben F und A, einer Foulardkrawatte und glänzenden Halbschuhen. An seinen kurzen, dicken Fingern blitzten mehrere große Ringe. Er hatte ein gedunsenes Gesicht mit winzigem rotem Mund, zusammengewachsene Augenbrauen und brillantineglänzendes, sorgsam gescheiteltes dunkelblondes Haar. Seine Augen waren grau und vermittelten den Eindruck von unendlicher Weisheit und Güte.
    Der Mann, kleiner als Jakob und viel beleibter, hieß Franz Arnusch. Vor zwei Stunden war Jakob, erst seit zwei Tagen in Wien, noch verzweifelt durch die Stadt geirrt auf der Suche nach einem warmen Platz für die Nacht. Er hatte in diesen zwei Tagen erfahren, daß Vater und Mutter von Bomben erschlagen worden waren, daß in der elterlichen Wohnung (Billrothstraße 29) drei obdachlose Familien saßen, die um nichts in der Welt hinausgesetzt werden konnten, da es sich um Flüchtlinge handelte, die das Wohnungsamt dort nicht eingewiesen hatte und daher nach messerscharfer Logik auch nicht wieder ausweisen durfte.
    Mit der bescheidenen Hoffnung auf eine Wärmestube in der Rotenturmstraße war Jakob gerade zwischen der ausgebrannten Staatsoper und dem gegenüberliegenden ausgebrannten ›Heinrichshof‹ dahingeschlichen, als er zwei Bullen von Männern erblickte, die einen großen zusammengerollten Teppich zu einem Auto schleppten. Aus dem Teppich erklangen verzweifelte Rufe: »Hilfe! Hilfe! So helft’s mir doch! Die entführen mich!« Solcherart pflegten muskelstrotzende Herren in jenen Tagen sehr häufig andere Herren in Wien, Wien, nur du allein, abzutransportieren. Rein in den Teppich. Rein in den Wagen. Und nichts wie weg. Von den Transportierten hörte man nie wieder. Diese Art des Menschenraubs war derart gang und gäbe, daß sich kaum jemand auch nur um die Schreie des Opfers kümmerte. Jakob hörte denn auch eine junge Frau zu ihrem Begleiter sagen: »Jöh, schau, Karli, da entführen s’ wieder einen!«
    »Ja, Mitzi«, sagte der Karl, »mach ma, daß ma weita kommen!« Und sie enteilten, indessen der Teppichinhalt weiter um Hilfe schrie.
    Jakob hatte nachgedacht. Lange und gründlich. Wie stets.
    Nun schritt er vor. Er trat zu den Teppichträgern und sprach höflich und sanft: »Grüß Gott, meine Herren. Entschuldigen Sie, wenn ich mich in Ihre Angelegenheiten einmische – aber sind Sie sicher, daß Sie dem Herrn im Teppich gesundheitlich auch nicht schaden?«
    »Was is los, du Hundsgfraas, du ang’spiebens?«
    »Ich meine: Mangel an Sauerstoff kann zu schlimmen Folgen führen«, erläuterte Jakob und sprach nicht weiter, weil ihm der menschliche Schrank, der das Ende der Teppichrolle trug, wuchtig in den Hintern trat. Jakob kam auf Glatteis ins Rutschen und krachte zu Boden, jedoch nicht, ohne vorher, sozusagen in einer Reflexbewegung, dem menschlichen Schrank, der den Teppich vorne trug, seinerseits in den Hintern getreten zu haben. Der Herr vorne und Jakob saßen auf dem Pflaster.
    Der Träger hinten konnte den Teppich allein nicht halten. Der Teppich krachte gleichfalls zur Erde und rollte sich hurtig auf. (Echter Smyrna.) Aus seinem Inneren schälte sich ein fetter Herr.
    Die beiden Gorillas verloren den Kopf und flüchteten. Der fette Herr, noch nicht ganz bei Sinnen, stürzte sich auf Jakob, der eben wieder aufgestanden war, und begann wie von Sinnen auf ihn einzuschlagen, wobei ihm undruckbare Worte aus dem Munde

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