JULIA COLLECTION Band 11
1. KAPITEL
„Nein, nein, nein!“ Mürrisch starrte Edwin Searle sein Spiegelbild an und griff sich mit knorrigen Fingern an den Kopf. „Da haben Sie es immer noch nicht richtig gemacht.“
„Und Sie haben wahre Adleraugen“, erwiderte Valerie nachsichtig, während sie die bereits kurz geschorenen silbergrauen Haare an der betreffenden Stelle hochkämmte. Sie setzte den summenden Haarschneider so behutsam ein, dass es eines Mikroskops bedurft hätte, um die abgeschnittenen Haarspitzen zu sehen.
Doch der alte Mann lächelte zufrieden, bevor er an eine andere Stelle fasste. „Hier müssen Sie auch noch was wegnehmen.“
Gehorsam befolgte sie die Aufforderung. Edwin war ihr reizbarster Kunde. Er suchte ihr Geschäft jeden zweiten Donnerstag auf und murrte ständig über seinen Haarschnitt. Doch sie hatte schon vor langer Zeit durchschaut, dass er gar nicht so pingelig war, sondern nur den Besuch bei ihr ausdehnen wollte. Er war ein einsamer alter Mann, und sie nahm sich gern Zeit für ihn.
Außerdem standen die Kunden nicht gerade Schlange, weder an diesem Tag noch an anderen. Ihr Schönheitssalon florierte längst nicht so sehr, wie sie es sich erhofft hatte. Sie hatte durchaus eine loyale Stammkundschaft, durch die sie die laufenden Kosten tragen konnte, aber Puma Springs lag zu nahe an Fort Worth und war mit gerade mal achttausend Einwohnern zu klein, um seinen kleinen Geschäften mehr als das nötigste Einkommen bescheren zu können. Jeden Monat betete sie, dass nichts Außergewöhnliches eintrat, aber meistens geschah es doch.
Mit einem Seufzer trat sie zurück, während Edwin seinen Kopf im Spiegel musterte. Bevor er sich erneut beschweren konnte, ging die Ladentür auf. Das freundliche Lächeln erstarb auf Valeries Lippen, als ihr früherer Freund Buddy Wilcox eintrat.
„Hallo.“
Ohne seinen Gruß zu erwidern, wandte sie sich wieder an Edwin. Buddy war eine schlechte Gewohnheit, die sie abzulegen beschlossen hatte.
Valerie und Buddy waren seit der Schulzeit mit einigen Unterbrechungen zusammen. Dass ihre Beziehung immer wieder aufgelebt war, mochte an dem Mangel an anderen Gelegenheiten in der Kleinstadt liegen. Die meisten ihrer Gleichaltrigen hatten kurz nach dem Examen entweder geheiratet oder waren in Großstädte verzogen.
Valerie selbst hatte vorübergehend in Fort Worth gewohnt, weil sie sich dort zur Hairstylistin und Kosmetikerin hatte ausbilden lassen. Aber sie hatte stets beabsichtigt, nach Puma Springs zurückzukehren, um bei ihrer verwitweten Mutter und ihrem jüngeren Bruder zu sein.
Buddy hatte die Kleinstadt nie verlassen. Er war es ganz zufrieden, von einem schlecht bezahlten Job zum anderen zu wechseln und sich in seinem Ruf als ehemals erfolgreichster Quarterback der Schulmannschaft Puma Springs Panthers zu sonnen. Sie hielt sich mit vierundzwanzig endlich für erwachsen, aber er würde es nie werden.
„Was willst du, Bud? Ich habe keine Zeit, dir die Haare zu schneiden“, erklärte sie, da er aus lauter Eitelkeit sehr häufig vorbeikam, um sich frisieren zu lassen – kostenlos.
„Sieh mich doch mal an, Püppchen.“ Er schlenderte zum Spiegel und musterte sich. „Meine Haare sehen toll aus. Ich brauche dein Auto.“
Automatisch blickte sie durch das Fenster zu ihrem vier Jahre alten schwarzen Coupé, das vor dem kleinen Einkaufszentrum parkte. Sie musste es noch zwei Jahre lang abbezahlen und hatte gerade erst die Beifahrertür reparieren lassen, der ihr leichtsinniger Bruder eine Beule verpasst hatte. Verglichen mit Buddy war Dillon ein Musterknabe. Sie stellte den Rasierer ab, legte ihn beiseite und verschränkte die Arme. „Nicht mal im Traum.“
„Komm schon, Val“, jammerte Buddy.
„Auf keinen Fall. Du fährst immer, als wärst du auf einer Rennstrecke.“
Er grinste. „Danke.“
„Das war kein Kompliment.“
„Hör mal, es ist wichtig. Ich habe keine Zeit, mit dir zu diskutieren. Hängt der Schlüssel am Haken?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, stürmte er zum Hinterzimmer.
„Komm zurück!“, schrie sie und lief ihm nach. „Ich habe nicht gesagt, dass du …“
Die Tür öffnete sich erneut, und momentan vergaß Valerie die potenzielle Gefahr für ihr Auto, als ein hoch gewachsener, gut aussehender Mann mit einem schwarzen Hund hereinkam. Der Mann hatte breite Schultern, dichte pechschwarze Haare, markante Züge und ebenmäßige weiße Zähne. Der Hund war ungewöhnlich groß für seine Rasse, setzte sich auf Befehl gehorsam hin und starrte
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