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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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gegessen?«
    »Was soll das denn heißen?«
    »Dann können Sie es jetzt gleich wieder von sich geben.« Der Mann schob seinen Arm nach vorn. Es war tatsächlich ein Turnschuh. Er hielt ihn von unten, präsentierte ihn auf seiner ausgestreckten Hand wie zum Verkauf.
    Toms Blick zuckte, suchte etwas, an dem er sich festhalten, ablenken konnte. Adidas , war der erste klare Gedanke. Eigentlich ein ganz normaler Schuh. Aus einem ganz normalen Geschäft. Und dann war etwas mit dem Schuh passiert. Denn jetzt steckte darin nur noch ein abgerissener Fuß. Aufgequollenes, unnatürlich violettfarbenes Fleisch brach aus der oberen Öffnung hervor, in kaum noch zusammenhängenden Lappen und halb verfaulten, schleimigen Brocken. Fäden, die einmal Sehnen gewesen sein mochten, hingen in einer grotesken Nachahmung von Schnürsenkeln daran herab. Ein fünf Zentimeter großes Stück Knochen ragte wie ein zersplitterter Pfahl nach oben.
    »Ist das …« Tom würgte. »Das ist doch nicht echt, oder?«
    »Vermutlich schon«, sagte der Rettungsschwimmer.
    Tom holte tief Luft. Mit zitternden Fingern schoss er hastig einige Bilder des Fußes, ohne sich lange mit den grausigen Details zu beschäftigen. Wie abgebrüht musste der Typ sein, dass ihn das so kaltließ?
    »Mein Gott, das muss ein ekelhafter Scherz sein«, murmelte er.
    »Sieht aber verdammt noch mal ziemlich echt aus.«
    »Dann hoffen wir mal, dass Sie keine Ahnung haben. Nichts für ungut.«
    »Ich bin Medizinstudent«, sagte der Rettungsschwimmer nicht ohne einen Hauch von Herablassung. »Und wenn man ein paar Mal in der Pathologie war, dann kann man das schon ganz gut beurteilen.« Dann wandte er sich ab und ging zurück zu den Gebäuden oberhalb des Strandes.
    Es war schwer zu sagen, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war, dass Gregory ihn in die Redaktion bestellte. Tom hatte den Artikel noch im »28 Grad« auf seinem Laptop geschrieben und zusammen mit zwei Bildern als E-Mail verschickt. Keine halbe Stunde später hatte ihn der Chefredakteur angerufen und ihn in die Innenstadt bestellt.
    Es war nicht üblich, dass die Freien herbeizitiert wurden. Tom war zwar häufig genug im Axel-Springer-Gebäude, aber meistens nur, um in der Kantine ein paar Euros zu sparen. Sein Tagesgeschäft, die kleinen Reportagen und Randnotizen, die bestenfalls ein paar Hunderter abwarfen, wurden per Internet abgewickelt.
    Gregory saß in einem Büro, das ihn mit einer Glastür vom beständigen Lärmpegel des Parketts abschirmte. »Parkett«, so nannte man den Rest des Großraumbüros, in dem je nach Tageszeit ein bis zwei Dutzend Redakteure an ihren Rechnern saßen, recherchierten, Artikel tippten, Fernsehprogramme prüften, telefonierten oder Grafiken vorbereiteten. Da die meisten Redakteure auf Zeile schrieben, direkt in das Layout hinein, war der aktuelle Entwicklungsstand der wichtigsten Seiten auf großen Bildschirmen schräg unter der Decke an einer Stirnseite des Raums zu verfolgen. Gregory hatte sich in den letzten Jahren hochgearbeitet und betonte bei jeder sich bietenden Gelegenheit, wie wichtig es sei, das Geschäft von der Pike auf gelernt zu haben. Toms Einschätzung nach hatte dessen Aufstieg aber weniger mit seiner fachlichen Qualifikation zu tun, sondern lag einzig und allein daran, dass Gregory Netze spinnen konnte. Er verfügte über ein besonderes Maß an Selbstsicherheit, gab sich charmant und immer politisch korrekt. Aber er war ihm einfach zu glatt.
    »Tom, mein Bester«, sagte der Chefredakteur, »toll, dass du vorbeikommen konntest!« Er kam um den Schreibtisch herum und schüttelte Toms Hand. »Warte mal kurz«, unterbrach er sich, ging an seinem Besucher vorbei, streckte den Kopf durch die Tür und rief: »Claudia, kannst du mal zwei Kaffee bringen?« Dann kam er zurück und setzte sich in den schwarzen Sessel hinter seinem Schreibtisch. »Erzähl mal, wie geht’s dir so? Du solltest wirklich öfter mal reinkommen. Man verliert ja sonst ganz den Kontakt.«
    Tom trat an die Fenster und sah hinaus. Gab es einen Grund, auf Gregory neidisch zu sein? Nette Aussicht, gut bezahlte Position, aber ein verdammter Bürojob war es trotzdem. Und da half auch keine Designerbrille mit breiten schwarzen Bügeln oder eine Assistentin mit Modelmaßen, wie sie gerade mit den beiden Kaffees durchs Büro schwebte. Tom nahm seine Tasse entgegen und setzte sich.
    »Habe nichts zu klagen, danke.«
    »Schön!« Über Gregorys Gesicht huschte ein Lächeln. »Freut mich zu hören.

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