Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
nach seiner Milch. Wieviel zahlen sie? – fragte Gabriel, der noch nicht überzeugt war. Sie zahlen gut, zuerst überweisen sie den ersten Teil des Fördergeldes, schauen sich das Material an, dann überweisen sie den Rest. Und die Ausrüstung? – fragte Gabriel zweifelnd, und die Technik? Du arbeitest doch beim staatlichen Fernsehen, raunte Valunja nervös, wir machen das über den Stadtrat oder über die Kulturverwaltung; ja,stimmte er sich selbst zu, – besser über die Kulturverwaltung, wo es doch ein Porno werden soll. Hauptsache, die Feuerwehr kriegt ihren Anteil. Und die Schauspieler müssen wir bezahlen, fügte Gabriel hinzu. Ja klar, sagte Valunja, – die Schauspieler auch.
Weißt du, sagte Gabriel, nachdem er das Drehbuch ein zweites Mal durchgesehen hatte, irgendwas stimmt nicht. Ich glaube, es ist nicht über die Bekämpfung der Prostitution. Und die Ästhetik ist eher totalitär. Ich kann natürlich ein paar Leichen reinschneiden oder eine Sequenz mit dem Bürgermeister, aber deine Lokomotiven, die Semaphoren – irgendwie faschistisch. Denk noch mal drüber nach, okay? Valunja versprach nachzudenken und kam am nächsten Tag selbst zu Gabriel ins Studio; ich habe nachgedacht, sagte er, du hast ganz recht, ich hab alles umgemodelt, mehr nationale Spezifik, also hör zu. Er holte dieselben Blätter heraus, auf denen ein Haufen gestrichen und mit der Hand neu geschrieben war, und raunte: »Die Macht des Schicksals«. Was? – Gabriel verstand ihn nicht. So heißt der Film, erklärte Valunja, »Schicksal«, für die Spezifik, verstehst du? Also, die weibliche Hauptperson ist immer noch ein einfaches ukrainisches Mädchen, einfach, aber arbeitsam, wir zeigen sie als Näherin, schneiden Bilder aus der Wochenschau rein, die arbeitslosen Eltern und die Chronik des Wiederaufbaus hab ich gestrichen, der deutsche Porno bleibt, aber als negativer emotionaler Hintergrund. Unsere Heldin findet also während der Mittagspause im Betrieb eine italienisch synchronisierte Annonce, daß Leute für italienische Bordelle gesucht werden, es folgt ein lyrisches Thema, ihre innere Suche, vielleicht vor der Kulisse der abendlichen Stadt, dazuder Bürgermeister, für dich ja kein Problem. Und gerade als sie im Betrieb alles hinschmeißen und sich ins italienische Bordell aufmachen will, ruft sie der Gewerkschaftsführer zu sich. Die weibliche Hauptperson kommt in sein Büro, und da beginnt es, und weiter ohne Drehbuch. Moment, sagte Gabriel, und wo ist hier das Schicksal? Das Schicksal, sagte Valunja und machte eine vielsagende Pause, besteht darin, daß der Gewerkschaftsführer auch ein einfaches ukrainisches Mädchen ist! Verstehst du, worauf ich rauswill? Wir machen so was auf gender , daß sie gleich noch die Fortsetzung bestellen. Laß uns zum Direktor gehen.
Der Direktor las das Drehbuch, schaute sich die Zeichnungen an, die Valunja auf den Rand gekritzelt hatte, und verlangte zwölf Prozent. Valunja schnappte sich das Drehbuch und stürzte, das staatliche Fernsehen verfluchend, aus dem Büro. Dann kam er zurück und bot sieben, plus Prozente vom Verleih. Bei neun kamen sie schließlich zusammen. Studio 3, sagte der Direktor zu Gabriel, samstags und sonntags von zehn Uhr abends bis neun Uhr morgens, bring die Ausrüstung hin, von mir aus könnt ihr’s dort auf allen vieren treiben. Und das klang nicht mal wie eine Metapher.
Valunja reichte einen Projektantrag ein und wollte gleich mit dem Drehen beginnen. Das Problem war nur, daß es niemanden zu drehen gab. Gabriel brachte die Ausrüstung ins Studio 3, wußte aber nicht weiter. In Studio 3 war vorher das Frühprogramm für Kinder gedreht worden, überall Stofftiere, und die Sperrholzkulissen zeigten Elefanten in unnatürlichen Farben. Gabriel dachte, das mit den Elefantenist sogar gut, und beschloß, sie als Teil der künstlerischen Ausstattung zu verwenden. Aber trotzdem gab es niemanden zu drehen. Wir machen ein Casting, sagte Valunja und schaltete im Presseorgan des Stadtrats eine Annonce.
Zum Casting kamen zwei Kandidatinnen. Die erste war Studentin am Konservatorium, in Lederjacke mit Piercing im Gesicht, sie hieß Vika. Die andere war eine frühere Prostituierte aus dem Hotel »Charkiw«, sagte, sie könne gut Italienisch, weil sie seinerzeit selbst in italienischen Bordellen gearbeitet hatte, sie sagte auch, daß man sie dort gut kenne, daß sie jetzt aber mit ihrer tragischen Vergangenheit gebrochen habe und ihr Glück im Showbiz versuchen wolle. Gabriel
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