Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
gemeinsamer Bekannter Valunja, der auch einmal beim Fernsehen angefangen hatte, eine ziemlich komische Sache vor. Ich, sagte er, arbeite jetzt in der Stadtverwaltung, im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, und an uns, sagte er, hat sich eine italienische Hilfsorganisation gewandt. Die Italiener bekämpfen bei sich gerade die ukrainische Prostitution. Aber ohne Erfolg, verstehst du? Also haben sie uns um Hilfe gebeten. Wir haben schon ein Seminar organisiert, haben ihre Broschüre darüber, wie man in italienische Bordelle kommt, übersetzt und kostenlos verteilt – übrigens sehr gefragt, die Broschüre – aber egal. Nicht egal ist, daß sie einen Film drehen wollen! Wie, einen Film? – fragte Gabriel zweifelnd. Ja, sagte Valunja, einen Film, gender und so, Kampf gegen die ukrainische Prostitution. Jedenfalls müssen wir reden.
Sie trafen sich also am nächsten Tag im Buffet der Stadtverwaltung, nahmen aus Gründen der Konspiration Milch und setzten sich in eine Ecke. Valunja gab sich geschäftsmäßig und konzentriert. Ich habe, sagte er und trank einen Schluck, gleich an dich gedacht, verstehst du, sie nehmen alles, Hauptsache es geht um den Kampf gegen Prostitution. Was schlägst du vor? – fragte Gabriel und schob seine Milch zur Seite. Ich hab hier was entworfen, raunte Valunja,also es ist nur eine Skizze, das ungefähre Drehbuch, – er beugte sich zu Gabriel und begann zu erzählen. Ich habe die Wettbewerbsbedingungen gelesen, die zwei wichtigsten Anforderungen sind – daß es um gender geht und nationale Spezifik drin ist. Hab lange nachgedacht. Also ich denke, wir können einen Porno machen. Hab alles berücksichtigt und folgendes Drehbuch entworfen, – Valunja holte ein paar bedruckte Blätter aus der Tasche, schob seine Milch ebenfalls zur Seite und begann zu lesen. Das Drehbuch hieß »Die nackte Wahrheit«, Wahrheit, kapiert? – erklärte Valunja, wie die Zeitung »Prawda«, wegen der nationalen Spezifik, er lachte nervös, verstehst du, worauf ich hinauswill? Die Handlung des Films spielt in der Gegenwart, in einer ukrainischen Stadt. Das hast du ja drauf, sagte Valunja, ein paar Fabriken, Platte am Horizont, davon verstehst du was, wenn du willst auch ein paar Leichen, als komisches Element. In dieser Stadt lebt die weibliche Hauptperson, nach den Worten des Drehbuchschreibers – ein einfaches ukrainisches Mädchen. Und dieses einfache ukrainische Mädchen träumt davon, sich in ein italienisches Bordell abzusetzen, eine fixe Idee, nach den Vorstellungen des Autors scheißt sie auf die Wirtschaft ihres Landes, liegt den von Valunja als einfache ukrainische Arbeitslose charakterisierten Eltern auf der Tasche, solche gibt es zu Tausenden, und schaut deutsche Pornos. Die deutschen Pornos, sagte Valunja, müssen wir übrigens selbst drehen, sie wird in unserem Pornofilm Pornos gucken – verstehst du, worauf ich rauswill? Die weibliche Hauptperson sieht also in der Zeitung eine Annonce, daß Leute für italienische Bordelle gesucht werden, der Text muß italienisch synchronisiert sein, damit die Auftraggeber verstehen, worum es geht, sieschreibt ihnen und kriegt eine Zusage. Sie will also, raunte Valunja, in das italienische Bordell fahren, packt sogar schon, die Eltern sind geschockt, die Paßstelle ist geschockt, hier, sagte er, muß lyrische Abschiedsstimmung rüberkommen, Abschied vom historischen Vaterland, man kann eine Wochenschau reinschneiden, Aufnahmen vom Krieg, die Chronik des Wiederaufbaus oder so; sie aber geht zum Bahnhof, nur mit einem kleinen Koffer voll Wäsche. Und hier am Bahnhof, mitten im Bahnhofsgewühl, trifft sie die männliche Hauptperson – so ein richtiger einfacher ukrainischer Kerl, erklärte Valunja, unser Landsmann, wie es Tausende gibt, er arbeitet, sagen wir, als Gepäckträger am Bahnhof, nein, Gepäckträger ist uncool, überlegte es sich Valunja schnell anders, besser als Lokführer. Dann kam die Szene, wie sie sich kennenlernten, Lokomotiven, Semaphoren, Reiseromantik, und die männliche Hauptperson verliebt sich plötzlich in die weibliche Hauptperson. Wie plötzlich? – fragte Gabriel für alle Fälle nach. Plötzlich genug, erklärte ihm der Autor des Drehbuchs, er verliebt sich und redet ihr aus, ins italienische Bordell zu fahren. Wie redet er ihr das aus? Keine Ahnung, wir brauchen ein starkes Bild, wie bei Pasolini, also zum Beispiel, er zieht sie ins Führerhäuschen seiner Lok und redet es ihr aus. Weiter ohne Drehbuch. Und? – fragte Valunja und griff
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