Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)

der jetzt gleich auf Ihre Köpfe niedergehen wird, nehmen Sie also Ihre Plätze ein, setzen Sie sich und schauen Sie, denn in dieser Stadt und zu dieser Zeit haben Sie nicht viele Alternativen, am besten also hinsetzen und schauen, in der festen Überzeugung, daß es dieses eine Mal wirklich kein Nepp ist.
    Normalerweise sitzen wir hier, bis man uns rausschmeißt, und rauszuschmeißen beginnt man uns, kaum daß wir aufgetaucht sind, niemand glaubt, daß wir ruhig dasitzen werden, ohne Gläser zu zerschlagen und die Stammgäste zu provozieren. Unter anderem, weil wir selbst Stammgäste sind, außerdem sind wir viele – Stammgäste der ganzen Bars, Imbisse, Bierkeller, Buffets und Fast foods, ich beobachte die Gäste dieser Etablissements schon so viele Jahre, daß ich als Zeuge vor Gericht auftreten könnte, wo man sie der Unzucht und der Völlerei beschuldigt. In so einem Fall könnte ich bei allen Heiligen schwören und noch dazu unangreifbare schriftliche Beweise vorlegen, daß im Verlauf mehrerer Jahre vor meinen Augen ein Prozeß des Heranwachsens, der Mannwerdung und vor allem – ein Prozeß der Erleuchtung meiner Helden stattgefunden hat, auch wenn Außenstehende es eher für ganz gewöhnliche Alkoholexzesse halten mögen. Auf solche Anschuldigungen kann ich allen Heiligen antworten – verehrte Hörer, Fernsehzuschauer, erfahrene Abonnenten, vielleicht haben Sie zum Teil sogar recht, vielleicht ist der Alkoholismus, wie auch die Erleuchtung, ein nichtlinearer Prozeß voll unbegreiflicher innerer Bewegungund Dynamik, aber selbst wenn dem so ist – versuchen Sie, sich eine Orgie vorstellen, die fünfzehn Jahre ununterbrochen andauert und dabei an Schwung, Kraft und Dramatik gewinnt, versuchen Sie, sich das vorzustellen, und sollte Ihnen das gelingen, aber es wird Ihnen nicht gelingen, dann würde ich Ihre Vorwürfe gegen die Stammgäste der Bars und Fast foods meiner Stadt gelten lassen. Aber da es Ihnen nicht gelingen wird, erlauben Sie mir, eben von der Mannwerdung und der Erleuchtung zu sprechen, verehrte Abonnenten mit Erfahrung. Denn die Erleuchtung, selbst wenn sie von depressiver Katerstimmung begleitet wird, hat ihre Stammgäste verdient. Und mehr als das.
    Ganz bewußt spreche ich gerade von ihnen, denn sie kenne ich am besten, vor vielen Jahren habe ich mit ihnen diese Bars und Fast foods zum ersten Mal betreten, und so begann das Leben. Seitdem haben sich höchstens die Preise für alkoholische Getränke geändert, die Hauptpersonen, die Stammgäste, sind ihren Rollen treu geblieben, jeder an seinem Platz, deswegen kann ich auch so unmittelbar über sie sprechen, mit Pathos, Wärme und tiefem Haß. Ich habe gesagt, daß sich die Preise für alkoholische Getränke geändert haben, aber wie anders sind sie eigentlich, wer weiß das schon? Ehrlich gesagt niemand, die handelnden Personen sind in diesem Fall viel interessanter als der soziale Hintergrund, und ihre Improvisationen – und im Grunde war alles Improvisation – sind wichtiger als die bemalten Kulissen in ihrem Rücken. Hier ist es – ein großes, reales Stück Zeit, das hinter ihnen liegt, abgenagt bis auf die Knochen, und je weiter sie sich davon entfernten, desto riesiger erschien diese Leiche, dieser Kadaver der von ihnen erlegten und zerrissenen Zeit, sie haben ihnüberlebt, hatten mehr Glück, nicht alle, aber die meisten von ihnen, hier sind sie – meine dreißigjährigen Helden, sie verbinden ihre Wunden, lecken ihre Syphilis, schnitzen Kerben in ihre Gewehrkolben, während sie sich schon auf neue Ruhmestaten und erfolgreiche Vorstöße an den Teilabschnitten der unsichtbaren Front vorbereiten. Daher, verehrte Fernsehzuschauer, vom jüngsten Boten bis zur erfahrensten Nutte, erheben Sie sich und ehren Sie mit einer Minute Ihres verfuckten Schweigens jene, die warum auch immer das Ende der Vorstellung nicht mehr erleben, erheben Sie sich, denn solche Stammgäste zu bedienen ist ein großes berufliches Glück, später einmal, im Alter, sollte Ihnen ein Alter vergönnt sein, sollten Sie es schaffen, es sich von all Ihren Heiligen zu erbitten, werden Sie sich an die jungen mutigen Gesichter erinnern, die süßen trunkenen Einsichten, die Schadenfreude und umfassende Vergebung, mit denen die Stammgäste Ihr freudloses und starres Leben bereichert haben. Sie werden sich erinnern, wie sie das Leben an den Eiern packten und alles, was sie wollten, aus ihm herausschüttelten, alle Scheiße herausprügelten, alles überflüssige Blut