Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
gerade ein viertes.
Wie Stoff drückte der Rauch gegen Cassies Haut, legte sich um sie wie ein Mantel. Sie schlug sich auf die Arme, um ihn zu vertreiben. In Wolken eingehüllt wiederholte die Troll-Prinzessin: »Fürchte dich nicht. Wir werden dir nicht wehtun.«
Es war kein Rauch, stellte Cassie fest. Es waren Trolle. Die Luft wimmelte nur so von ihnen. In der wogenden Wolke konnte sie Spuren von Augen und Zähnen ausmachen, von Fell und Federn, Armen und Tentakeln. Farbige Lichtblitze flammten auf wie in einer surrealen Diskothek, und sie brach in Panik aus. »Fasst mich nicht an!« Sie schlug nach den Wesen. Es fühlte sich an, als würde man durch dicken Regen gehen. Ihr fiel ein, dass sie diese Art von Wasserluft kannte. Sie hatte sie schon einmal gespürt – als die Trolle Bär geholt hatten, damals, vor langer Zeit, bevor das Schloss geschmolzen war.
Hunderte von Trollen pressten ihre hauchdünnen Körper gegen sie, nur um im selben Augenblick wie feuchter Nebel zu vergehen. Sie dachte an ihre Mutter, die jahrelang hier gefangen gesessen hatte, und erkannte, dass es ein Fehler gewesen war, ohne klaren Plan hierherzukommen. Am liebsten hätte sie vor Wut gekreischt wie die Espe. Bär war nur noch einen Schritt entfernt. Sie hatte keinen so weiten Weg zurückgelegt, um am Ende doch zu scheitern. Das konnte einfach nicht sein.
»Folge mir«, sagte die Troll-Prinzessin, die hinter all den zarten Gestalten auf und ab tanzte wie ein Chinaballon.
Zähneknirschend bahnte sich Cassie mit Hilfe ihrer Ellenbogen einen Weg durch die Troll-Wolke. Wurde einer von ihnen getroffen, schmolz er dahin, substanzlos wie ein Geist, geräuschlos wie ein Wolkenfetzen. Es herrschte eine gespenstische Stille. Das einzige Geräusch hier war ihr eigener Atem. Die Trolle atmeten nicht. Bebend umfasste sie ihren gewölbten Bauch. Ihre Onkel, die Winde, hatten recht gehabt: Das hier war kein Ort für lebende Wesen. Alle ihre Instinkte rieten ihr wegzulaufen, so schnell sie nur konnte. Und doch ging sie weiter, immer tiefer hinein in die Troll-Wolken.
Je weiter sie der Prinzessin in die Eingeweide der Festung folgte, desto mehr sank ihr Mut. Wer war sie, dass sie auch nur daran dachte, sich diesem – was auch immer es war – widersetzen zu können?
Sie war nur ein Mensch und verfügte nicht über das kleinste bisschen Magie.
Wieder überrollte sie eine Wehe, und sie musste stehen bleiben. Keuchend hielt sie sich den Bauch. Sofort wurde sie wieder umschwärmt von den Trollen, konnte die federleichten, feuchtkalten Berührungen auf Hals und Gesicht spüren. Aufreizende Farben stachen ihr in die Augen.
Dann lichteten sich die Reihen der Trolle vor ihr, und Cassie strich sich ihr schweißnasses Haar aus dem Gesicht. Sie stand vor einem Podest aus Basalt, auf dem die Troll-Königin thronte. Sie füllte es völlig aus. Im Gegensatz zu all den körperlosen Wesen ringsum schien sie so solide zu sein wie ein Granitblock. Tausende von Augen bedeckten ihren Körper wie silberne Nieten.
Cassie straffte die Schultern und versuchte, dem starren, tausendfach zersplitterten Blick zu begegnen. Sie hatte sich ihre Angst weder vor Großvater Wald noch vor den Winden anmerken lassen. Und vor der Troll-Königin würde sie sie ebenso verbergen. Selbst wenn ihre Rettungsmission zum Scheitern verurteilt war.
Die zahllosen Augen blinzelten alle zugleich, als wären sie eins. »Wir brauchen nicht noch einen Menschen«, sagte die Königin. Ihre Stimme glich dem Summen eines Bienenschwarms. »Warum habt ihr sie zu uns gebracht?«
Die Troll-Prinzessin, jetzt eine lila Kugel mit einem grotesk verzerrten, menschenähnlichen Gesicht, schwebte zu dem Podest hinüber und flüsterte der Königin etwas zu.
Die tausend Augen musterten Cassie eingehend. »Interessant.« Die Hälfte der Augen schloss sich und verhärtete sich zu kleinen silbernen Plättchen.
Cassie hob den Kopf und nahm all ihren Mut zusammen. Darauf hatte sie die ganze Zeit hingearbeitet – auf diesen einen Moment. Sie würde dieser Troll-Königin die Stirn bieten. Sie würde keinesfalls ein Nein akzeptieren. Wenn es sein musste, würde sie Bär mit bloßen Händen aus ihr herauswringen.
»Ich bin gekommen, um meinen Mann zu holen. Und du kannst mich nicht aufhalten.«
»Na schön«, erwiderte die Königin.
Cassie klappte der Kiefer herunter. »Wie bitte?« Sie musste sich verhört oder die Worte der Königin missverstanden haben. »Du willst mir … Es steht ihm frei zu
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