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Ice

Ice

Titel: Ice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka Loreen Minden
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uns zum Schluss, damit wir zum Volk sprechen können.«
    Ich weiß das, doch es macht mich wahnsinnig, nichts tun zu können. Diese Warterei zermürbt mich! Und was, wenn die Bürger uns ebenfalls hassen? Immerhin sind wir die Kinder der Tyrannen …
    Wir drängen uns ganz nach vorne, wo der Gang endet und sich das Podium anschließt. Kameras sind auf die Plattform gerichtet, damit auch die Menschen hinter dem Turm und in den Nebenstraßen alles über die Screener verfolgen können. Andrew und ich müssen weiterhin höllisch aufpassen, nicht von einem Gesichtsscanner erfasst zu werden.
    Als plötzlich Sirenengeheul durch die Lautsprecher ertönt, erstarre ich. Nicht nur ich, alle Bürger scheinen wie gelähmt und wenden den Blick auf die Gasse.
    Da ich förmlich an der Scheibe klebe, sehe ich trotz der Entfernung, dass sich in dem Gebäude etwas tut. Die Tür öffnet sich, und Ice tritt heraus, genau in dem Moment, in dem die Sirene verstummt.
    »Nein, das ist zu früh!«, sage ich zu Andrew und kralle die Finger in sein Shirt.
    Als ich Ice sehe, halte ich unweigerlich die Luft an. Er trägt dieselben Sachen, mit denen er Resur verlassen hat: seine Einsatzhose und das schwarze T-Shirt. Bloß die Stiefel hat man ihm genommen.
    Nein, das Shirt muss doch ein anderes sein, es ist größer, denn es liegt nicht so eng an seinem Körper an, dass man jeden seiner imposanten Muskeln erahnen kann.
    Ich drücke mir die Nase an der Scheibe platt, um ihn besser erkennen zu können, wobei mir der Puls bis unter die Kopfhaut schlägt.
    Zwischen seinen nackten Füßen ist eine kurze Eisenkette befestigt, sodass er nur kleine Schritte machen kann, seine Hände sind anscheinend auf dem Rücken gefesselt. Den Mund hat man ihm mit Klebeband zugeklebt.
    Damit er niemandem die Wahrheit erzählen kann …
    Oh Gott, Ice! Sein Anblick erschüttert mich zutiefst.
    Den Kopf erhoben und den Blick starr geradeaus gerichtet, marschiert er den Todesgang entlang. Zwei bewaffnete Warrior, die ihre Gewehre auf ihn richten, folgen ihm.
    Als er an uns vorbeiläuft, unterdrücke ich mit aller Kraft den Wunsch, gegen die Scheibe zu trommeln, damit er mich ansieht. Das würde sämtliche Aufmerksamkeit auf uns lenken, da die anderen Bürger immer noch stillschweigend und beinahe reglos an ihren Plätzen stehen.
    Trotzdem flüstere ich: »Ice«, und als er auf unserer Höhe ist, schaut er mich direkt an.
    Mein Atem stockt erneut. Hilflos drücke ich die Hände an die durchsichtige Wand und starre ihn an. Seine Augen werden groß, und er schüttelt leicht den Kopf, solange wir Blickkontakt halten. Er hat nicht damit gerechnet, dass ich in White City auftauche, er dachte sicher, ich liege schwerkrank im Bett. Ich merke ihm an, wie schockiert er ist, mich hier zu sehen.
    Ohne nachzudenken, forme ich mit den Lippen die Worte »Ich liebe dich«. Doch er hat den Kopf längst wieder abgewendet, wahrscheinlich, um mich mit seiner Reaktion nicht zu gefährden.
    Dann ist der kurze Moment vorbei, ich erkenne ihn und die Warrior nur noch von hinten, wie sie die wenigen Stufen auf das Podest steigen.
    Ich sinke gegen Andrew und kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. »Er wird sterben«, wispere ich. »Und ich kann gar nichts tun.«
    »Er würde wollen, dass du nichts tust, um nicht aufzufallen. Er hat sehr erschrocken gewirkt.«
    Mir wird heiß und kalt, unter meiner Perücke sammelt sich Schweiß und ich zittere so sehr, dass meine Zähne klappern. Vehement unterdrücke ich den Drang, mich nicht auf Andrew zu übergeben.
    Da ich mir nun sicher bin, dass Ice mich liebt, ist die Situation noch schwerer zu ertragen. Wäre er nicht nach White City gegangen, hätten wir eine gemeinsame Zukunft haben können … Doch noch ist nichts entschieden, Ice ist am Leben!
    Ständig schaue ich zum Gebäude zurück, in der Hoffnung, Jax und die anderen würden jede Sekunde herausstürmen und Ice befreien. Aber warum sollten sie das tun? Mir zuliebe? Ice ist als Feind nach Resur gekommen, er hatte Sprengstoff dabei … und jetzt kann seine Hinrichtung den entscheidenden Faktor bieten, damit das Volk endlich gegen das Regime aufbegehrt.
    Die Warrior ketten ihn an die Eisenstangen, sodass seine Arme an je einem Pfosten befestigt sind. Ice wehrt sich nicht, sein Blick schweift immer wieder in meine Richtung. Unter seinen Armen haben sich Schweißflecken gebildet, seine Nasenflügel blähen sich. Er atmet heftig, das erkenne ich aus den wenigen Metern Entfernung. Er hat Angst, und

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