Ice
umarmt mich fest, und erst jetzt merke ich, dass ich mit den Zähnen klappere und heule wie ein kleines Kind. Am liebsten würde ich all meinen Kummer, all meine Wut hinausschreien.
Ich klammere mich an Andrew, als würde ich ertrinken. Ich bin so froh, dass er hier ist und mich hält. Ohne ihn würde ich in das tiefe schwarze Loch fallen, das sich vor meinen Zehenspitzen aufgetan hat.
»Du hast ihn sehr geliebt, nicht wahr?«, flüstert er mir ins Ohr.
Ich nicke, weil ich vor lauter Schluchzern nicht sprechen kann. Seine Nähe, seine Körperwärme – all das erinnert mich an das, was ich mit Ice hatte. Was ich nie wieder mit ihm haben werde.
»Ich weiß, wie du dich fühlst. So ging es mir, als mein Vater meine Mutter hat töten lassen. Ich habe ihn so sehr dafür gehasst und tu das heute noch. Aber ich habe mir nichts anmerken lassen, damit ich mich eines Tages an ihm rächen kann. Und nun stehe ich kurz davor.«
»Wie hast du das überlebt?«, frage ich stockend.
»Ich habe mich in einen eisigen Kokon gehüllt, der all meine wahren Emotionen vor meinem Vater abgeschirmt hat.«
Plötzlich drückt mich Andrew gegen die Wand hinter einem Müllcontainer. »Wir sind nicht mehr allein!«
Ein Warrior ist fünf Meter von uns entfernt durch die Eisentür gekommen. Es ist keiner, den wir kennen.
Andrew zieht sofort seine Waffe, während mir im ersten Moment egal ist, was der Kerl mit uns anstellt. Der Soldat ist etwas kleiner als seine Brüder, aber breit wie ein Schrank. Er besitzt ein rundlicheres Gesicht und erinnert mich ein wenig an einen Teddybär.
Ich gluckse bei dem Vergleich, obwohl ich das Gefühl habe, als würden sich Nadeln in meine Organe bohren. Jetzt drehe ich durch.
»Jax hat mich geschickt«, sagt der Krieger, der seine Waffe ebenfalls auf Andrew richtet.
Jax? Nun ist es zu spät.
Andrew sieht mich scharf an. »Du bleibst hier, Nica, ich spreche mit ihm!«
»Pass auf dich auf«, sage ich matt. Der Schmerz in meiner Brust frisst mich Stück für Stück auf und nagt an meiner Seele wie eine Ratte. Ich habe solch ein grässliches Vieh in der Kanalisation gesehen, mit dem langen nackten Schwanz und den funkelnden Augen. Ja, so ein hässliches Monster hat sich in meinem Herzen eingenistet, um es aufzufressen. Wie hat Andrew das überstanden? Hass und der Verlust einer Liebe – zwei mächtige Gefühle.
Mit geschlossenen Lidern lehne ich mich gegen die Wand und höre nur das Klopfen meines Pulses in den Ohren. Ich sehe Ice vor mir, sein verwegenes Lächeln, wenn er mich »Baby« nennt, die breiten Schultern, seinen perfekten Körper, wie aus Stein gemeißelt … stelle mir noch einmal unsere erste Begegnung vor, als ich ihn nackt im Badezimmer entdeckt habe und ihn während des Entzuges gepflegt habe … Ich vermisse ihn so sehr, wie soll ich ohne ihn weiterleben?
»Nica …« Als ich die Lider öffne, steht Andrew vor mir. Ich lese in seinem Gesicht, dass er keine guten Nachrichten hat.
»Ist etwas mit Jax und den anderen?«
»Nein, denen geht es laut Dean gut.« Er nickt zu dem Warrior. »Er ist ein alter Kumpel von Crome und hat sich schon länger überlegt, die Seiten zu wechseln. Jax hat ihn geschickt, da sich unsere Leute hier oben nicht blicken lassen sollten. Es gibt einige Neuigkeiten, die ich dir jetzt nicht verraten kann, da wir keine Zeit verlieren dürfen und deine Hilfe brauchen.«
Wieso sieht er nur so gequält aus?
»Was kann ich tun?«, frage ich matt.
»Dein Vater und die anderen Senatoren sind weder zuhause noch im Regierungsgebäude. Wo könnten sie sein? Mein Vater hat mich leider auch nicht in alle Geheimnisse eingeweiht.«
»Es gibt einen geheimen Unterschlupf für Notfälle.«
»Wo ist er? Jax muss es wissen, oder es war alles umsonst!«
Alles umsonst, wir sind gescheitert …
»Nica!« Andrew rüttelt mich a n den Schultern. »Noch ist nichts verloren, wir haben eine Chance. Du bist unsere Chance! Du musst jetzt stark sein. Bitte! Denk an all die Leben, die du retten kannst.«
Ice konnte ich nicht retten.
»Wo sind die Senatoren? Das Volk rebelliert, das müssen wir ausnutzen. Wenn wir den Senat haben, braucht sich niemand mehr vor ihnen fürchten. Soweit ich mich erinnern kann, sieht der Notfallplan des Regimes vor, die Schotten dicht zu machen und die Bürger sich selbst zu überlassen. Oder?«
Die Schotten dichtmachen …
»Nica, hörst du mir überhaupt zu?«
Ich nicke. Andrew hat recht, ich muss mich zusammenreißen. Das Leben unzähliger lieber
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