Ich bin alt und brauche das Geld
Wohnung, und falls Jennifer in den nächsten drei Stunden eintraf, musste sie eben warten, bis wir wieder da waren. Ich konnte schließlich nicht die ganze Zeit bloß untätig darauf lauern, dass sie endlich zurückkehrte.
»Na gut«, sagte ich. »Nach dem Essen, okay? Wir fahren mit der U-Bahn hin. Was haltet ihr davon?«
Der Vorschlag begeisterte sie, was wiederum meine eigene Laune verbesserte. Nach einem frühen Mittagessen, bestehend aus Schinkennudeln und Gurkensalat, klingelte ich bei Adrian, in der Hoffnung, dass er Lust hatte, wieder mit in den Zoo zu gehen, doch er war nicht da. Ich stand vor seiner Wohnungstür und wusste nicht, ob ich enttäuscht oder erleichtert sein sollte. Genauso wenig, wie ich wusste, ob sich nun am Vorabend etwas zwischen uns angebahnt hatte oder nicht. Es konnte durchaus sein, dass der viele Apfelwein mir die Sinne verwirrt hatte und dass deshalb gewisse Annahmen von mir lediglich auf Einbildung beruhten. Mit meinem Denkvermögen war es sowieso nicht weit her, wenn Adrian in der Nähe war. Streng genommen reduzierte es sich umso mehr, je näher er mir kam, das hatte sich gestern, als ich vor ihm auf dem Teppich gelegen hatte, glasklar gezeigt.
Na schön, er mochte das Parfüm, das Doro mir auf den Hals gesprüht hatte, und meine Strümpfe hatten ihm auch gefallen. Aber mehr hatte er nicht gesagt. Und auch nicht getan. Abgesehen davon, dass er mir die Stelle mit der Laufmasche gezeigt hatte.
Es war Einbildung. Ich war … durcheinander. Hormonell und auch sonst. Daran waren die Wechseljahre schuld, kombiniert mit einer Art unterbewusster Torschlusspanik. Nichts, was eine Frau sich freiwillig antat.
In Gedanken versunken ging ich nach unten. Die Kinder waren schon vorausgelaufen und im zweiten Stock bei den Ansaris hängen geblieben. Die Wohnungstür stand offen, ein köstlicher Duft drang ins Treppenhaus. Frau Ansari kam aus ihrer Küche und reichte mir eine frisch in Fett ausgebackene, noch heiße Teigtasche, die mit einer süßen Paste aus Früchten, gehackten Pistazien und orientalischen Gewürzen gefüllt war. Ich nahm die unverhoffte Köstlichkeit dankbar entgegen und lud Frau Ansari kurzentschlossen für den nächsten Sonntag zum Kaffee ein. Höchste Zeit, dass ich mich für all ihre Freundlichkeiten revanchierte. Ich würde meinen ersten Kuchen in diesem Jahr backen und ihn mit meiner netten pakistanischen Nachbarin essen. Vielleicht hatte ja auch Adrian Zeit und Lust …
Hör auf damit, Charlotte, befahl ich mir, bevor die hormonell gesteuerte Verwirrung wieder um sich greifen konnte.
Die Kinder hatten ebenfalls Teigtaschen bekommen und bekleckerten sich auf dem restlichen Weg nach unten ausgiebig mit der Füllung, sodass ich noch mal mit ihnen nach oben gehen und sie säubern musste. Zu dritt standen wir in dem engen kleinen Bad auf dem immer noch vor Nässe quietschenden Linoleum, während ich ihnen die erwartungsfrohen kleinen Gesichter abwischte, die klebrigen Fingerchen unter laufendem Wasser wusch und hinterher noch sorgfältig die zerzausten Locken mit dem Kamm glättete. Sie schauten dabei so vertrauensvoll zu mir auf, dass sich etwas in meinem Inneren zusammenzog und ich mir auf einmal gegen jede Vernunft wünschte, dass dieser Tag nicht so schnell endete.
»Wisst ihr was? Ihr seid tolle Kinder«, sagte ich mit leicht belegter Stimme.
»Du bist auch toll«, sagte Paulinchen.
»Und du riechst auch toll«, führte Mäxchen aus, während ich ihn noch einmal zum prophylaktischen Pinkeln aufs Klo setzte. Als ich ihn anschließend wieder herunterhob, beugte er sich vor und schnüffelte an meinem Hals.
»Ich will auch gut riechen«, sagte Paulinchen. »Genau wie du.«
»Dann komm mal her.« Ich sprühte ihr ein bisschen Eau des Merveilles auf die Handgelenke.
Doro hatte mir den Rest von dem Pröbchen dagelassen, ich hatte mir heute Morgen nach der Dusche noch etwas von dem Wunderwasser aufgetragen und bereits überlegt, mir bei nächster Gelegenheit – sofern meine Finanzen es zuließen – einen Flakon davon zu besorgen. Manchmal war es nötig, alte Parfüms auszusortieren und neue anzuschaffen. Meist merkte man es daran, dass man die bisherigen nicht mehr riechen konnte. Nicht im Sinne von nicht mehr mögen, sondern man nahm sie einfach nicht mehr richtig wahr, vor allem nicht an sich selbst. Wenn es erst so weit gekommen war, sollte man sich einen neuen Duft zulegen. Zum Beispiel einen, über den schon mehrere männliche Wesen ungefragt und
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