Ich bin dein, du bist mein
Entrüstung. »Du hast wohl keine Ahnung von solchen Schätzen.«
»Nein«, gab Judith zu. »Meine beste Freundin hat einen Roller. Sonst bin ich noch nirgends mitgefahren.«
»Fünfzig Kubik?«
»Weiß nicht. Ich hab eben keine Ahnung.«
»Na, dann mach dich auf was gefasst, meine Liebe! Es gibt keine elegantere Art des Reisens.« Er schwang sich auf die Maschine, die sich sofort etwas tiefer legte. »Los, steig auf! Und denk dran: Der Stecker deines Helms gehört in die kleine Buchse an der Seite.«
Judith stöpselte sich ein.
»Kannst du mich hören?«, kam es aus den Kopfhörern im Helm.
»Laut und deutlich«, antwortete sie.
»Ich dich auch«, sagte Bogdan. Er drehte sich um und winkte Judiths Mutter zu, die ein wenig verzagt im Türrahmen stand. Auch Judith hob die Hand, als der Motor der Honda mit einem satten Brummen ansprang.
Der Sitz hatte eine so gute Passform, dass sie sich nicht mal an Bogdan festhalten musste. »Verrätst du mir, wo’s hingeht?«, wollte sie wissen.
»In den Taunus, ein wenig cruisen.«
»Cruisen?«
»Einfach durch die Gegend fahren, links, rechts, wo es gerade schön ist. Oder hast du ein besonderes Ziel?«
»Nein, eigentlich nicht.«
»Gut. Dann klapp das Visier runter, sonst hast du schneller eine Fliege im Auge, als dir lieb ist. Kann ganz schön wehtun. Möchtest du Musik hören?«
Musik? Dieser Helm war ja das reinste Wunderteil. »Ja, gerne.«
»Ich hab hier was, was deiner Stimmung entgegenkommt. Ziemlich düster. Es sei denn, du möchtest einen Partyreißer hören.«
»Bloß nicht«, murmelte Judith.
»Was hast du gesagt?«, fragte Bogdan laut.
»Keine Gutelaunemusik! Die könnte ich jetzt nicht ertragen!«
»Dann habe ich genau das Richtige für dich. Ziemlich alt. Habe ich immer gehört, wenn es mir schlecht ging.«
Ein harter, treibender Bass, scheppernde Gitarren und ein hoher Synthie. » When routine bites hard and ambitions are low «, sang ein Mann, dessen Stimme tief wie aus einem Keller klang. » And resentment rides high, but emotions won’t grow … «
Judith klopfte Bogdan auf die Schulter und die Musik verstummte. »Wer ist das?«, fragte sie.
»Gefällt’s dir?«
»Ja, ist gut.«
»Joy Division. ›Love will tear us apart.‹ Genau das Richtige, wenn man sich im Leid suhlen will, findest du nicht?«
Judith lachte trocken. »Kann man wohl sagen. Der Typ scheint zu wissen, wovon er singt.«
»Ian Curtis? Oh ja. Der Kerl ist durch die Hölle gegangen.«
»Und?«, fragte Judith. »Hat er sie überlebt?«
»Nein«, sagte Bogdan. »Er hat sich kurz nach den Aufnahmen in seiner Küche erhängt.« Der Ton wurde wieder laut gestellt.
Judith überließ sich der Musik und dem Fahrtwind und dachte dabei an Jan, an Gabriel und an ihr Leben, das in Scherben lag. Das war traurig und schön zugleich.
Bis Bogdan abrupt anhielt und die Musik verstummte.
Sie waren in einem Wald, auf einer Straße, die in gerader Linie eine Anhöhe hinaufführte. Ein Auto stand quer auf der Fahrbahn. Die Motorhaube war angehoben, doch von dem Fahrer fehlte jede Spur.
Sie stiegen ab. Judith zog den Helm aus. Fast überdeutlich hörte sie das Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Windes in den Bäumen.
»He!« rief Bogdan. »He!!« Keine Antwort. Er legte den Helm auf den Sitz und drehte sich einmal um sich selbst. »Schon mal daran gedacht, dass es gefährlich sein könnte, den Wagen so stehen zu lassen?«
Judith spürte ein seltsames Kribbeln in ihrem Rücken. Hier stimmte etwas nicht. »Bogdan …«, sagte sie.
Doch der ignorierte sie und stapfte zu dem Wagen, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Er beugte sich über den offenen Motor und schaute hinein.
»Bogdan!«, schrie Judith. »Pass auf!«
Doch es war schon zu spät. Ein Mann in einem Kapuzenpullover sprang aus dem Gebüsch am Straßenrand und schwang etwas, was wie ein Stahlrohr aussah. Bogdanhatte keine Chance mehr, sich umzudrehen. Die Kurbel eines Wagenhebers traf ihn im Nacken, doch er ging nicht zu Boden. Erst ein zweiter Schlag seitlich gegen den Kopf gab ihm den Rest. Blut sickerte aus einer Platzwunde. Seine Beine knickten ein. Bogdan brach zusammen und blieb reglos liegen. Eine Blutlache breitete sich unter seinem Kopf aus.
»Nein!«, schrie Judith. Sie ließ den Helm fallen, den sie zuvor panisch umklammert gehalten hatte.
Gabriel zog die Kapuze vom Kopf, warf den Wagenheber weg und trat ohne sichtliche Eile auf Judith zu. Sein Gesicht war gerötet. Mit einer Hand wischte er sich
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