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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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selbst einen Fluchtversuch wagen. Aber keinen überstürzten. Gabriel musste sich in Sicherheit wiegen, er musste ihr vertrauen. Wenn sie sich frei im Haus bewegen konnte, fand sich vielleicht eine Möglichkeit zur Flucht.
    Gabriel, ganz der vollendete Gastgeber, deckte mit größter Sorgfalt den Tisch und stellte sogar Kerzen auf. Schließlich servierte er die dampfende Suppe in einer altmodischen Porzellanterrine.
    Gabriel nahm ihren Teller und blickte sie fragend an.
    Judith nickte brav – etwas anderes konnte sie ja auch nicht tun – und legte sich die gestärkte Stoffserviette auf den Schoß.
    Gabriel füllte beide Teller. »Eigentlich wollte ich uns ein richtiges Festmahl zubereiten. Aber leider läuft uns die Zeit davon. Etwas Brot?«
    Judith nickte. Fieberhaft grübelte sie darüber nach, was er wohl als Nächstes vorhatte. Eine entsetzliche Ahnung überkam sie und ihre Hände begannen zu zittern.
    Er reichte ihr den Brotkorb. »Selbst gebacken – und ganz frisch.« Aus dem Radio kam klassische Musik. Vielleicht Brahms, dachte Judith.
    Gabriel schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Jetzt hätte ich fast den Wein vergessen. Bei so einem feierlichen Anlass!«
    Judith schluckte. »Nein, danke.«
    Gabriel nahm ihr gegenüber Platz. Er nahm einen Löffel Suppe und blies darüber. »Hm, wunderbar. Genau, wie sie sein soll.«
    »Ja, schmeckt prima.« Die Kruste krachte, als Judith in ihre Brotscheibe biss.
    »Es ist schon lange her, dass ich Besuch hatte. Sonst esse ich immer alleine.«
    Die Orchestermusik wechselte, wurde nun leise und gefühlvoll.
    »Natürlich stimmt nichts von dem, was du über dich geschrieben hast, nicht wahr?«, sagte Judith. Die Suppe war wirklich gut.
    »Nein«, gab Gabriel zu. »Hab ich alles erfunden.«
    »Kein Hund.«
    Gabriel lachte. »Vor allen Dingen kein Hund. Ich hasse diese Viecher. Die sind zu nichts nütze. Machen nichts anderes als fressen, schlafen und kacken.«
    Judith verschüttete die Suppe, so sehr zitterte ihre Hand bei dem Gedanken daran, mit welcher Eiseskälte Gabriel ihren Hund getötet hatte.
    »Wovon lebst du wirklich?«
    »Mein Vater hat mir was hinterlassen. Es ist nicht viel, aber wenn wir sparsam damit umgehen, kommen wir damit eine Weile über die Runden.«
    Er hatte tatsächlich »wir« gesagt!
    »Lebt deine Mutter noch?«
    Gabriel hob den Blick nicht von seinem Teller. Mit einem Stück Brot tunkte er die letzten Suppenreste auf. »Nein«, sagte er nur.
    »Das tut mir leid. Ist sie schon lange tot?«, fragte Judith.
    Gabriel sah sie mit leeren Augen an.
    »Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, sagte Judith.
    Langsam legte er den Löffel beiseite und wischte sich mit der Serviette den Mund ab. Dann stand er auf. »Komm mit, ich will dir etwas zeigen«, sagte er.
    Judith ließ ihr Wasserglas sinken und blickte ihn fragend an.
    »Na los, komm!«, forderte er sie mit einer ungeduldigen Geste auf.
    Eine enge Treppe führte in den obersten Stock. Dort war es noch dunkler als im Rest des Hauses. Vor einer Tür, von der die Farbe abblätterte, blieben sie stehen. Gabriel zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche und öffnete sie. Er musste kräftig drücken, bevor die Tür mit einem lauten Knarzen aufschwang. Der Geruch nach Staub und abgestandener Luft ließ sie zurückweichen. Gabriel suchte nach dem Lichtschalter.
    Kein Zweifel: Dieser Raum war einmal ein Kinderzimmer gewesen. Die ursprünglich weiße Tapete war stockfleckig und vergilbt, über die Decken zogen sich schwarze Schimmelspuren. Ein Schrank, eine Wickelkommode und ein Bett, zwischen dessen Gitterstäben Generationen von Spinnen ihre Netze geknüpft hatten, das war die ganze Einrichtung. Kein Spielzeug, keine Kuscheltiere. Nur ein Foto hing über der Wickelkommode. Auf dem Fenstersims stand eine kleine blaue Engelsfigur.
    »Mein Namenspatron«, sagte Gabriel. »Er bewacht die Seele meines kleinen Bruders. Ich bin schuld an seinem Tod.« Vorsichtig berührte er die kleine Figur auf dem Fensterbrett. »Ich kann mich nicht mehr an damals erinnern. Mein Vater hat mir vor seinem Tod erzählt, was passiert ist.« Er fuhr mit der Hand über die staubige Fensterbank, dann wischte er sie an seiner Hose ab. »Ich wurde adoptiert, weißt du. Meine Eltern haben jahrelang versucht ein eigenes Kind zu bekommen, aber es hat einfach nicht geklappt. Erst als ich zwei Jahre alt war, ging ihr Wunsch doch noch in Erfüllung.« Er zuckte mit den Schultern. »Ich kann mich nicht mehr an den Unfall

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