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Ich bin der letzte Jude

Ich bin der letzte Jude

Titel: Ich bin der letzte Jude Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chil Rajchman
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Gericht, der, wie fast alle Täter der Lager der »Aktion Reinhardt«,
an der »Aktion T 4« zur Tötung der Geisteskranken
und Behinderten, des sogenannten »lebensunwerten Lebens« beteiligt gewesen
war. Der zu lebenslanger Haft verurteilte Stangl legte Revision ein. Während er
auf seinen zweiten Prozess wartete, erklärte er sich zu ausführlichen
Gesprächen mit Gitta Sereny bereit. Wenige Stunden nach dem letzten Gespräch
starb er in der Haftanstalt an Herzversagen. Auf der Grundlage dieser Gespräche
mit Stangl und anderen Tätern (vor allem Suchomel) sowie mit Überlebenden (u.a.
Richard Glazar 15 )
    entstand Am Abgrund 16 , ein grundlegendes Werk über die Mechanismen, die
einen Menschen in einen Massenmörder verwandeln. Der dritte Prozess war der
gegen Ivan Demjanjuk in Jerusalem. Chil Rajchman war während des gesamten
Verfahrens sehr aktiv. Er konnte aber nur sehr schlecht damit umgehen, dass
Zweifel an der Identität dieses Angeklagten geäußert wurden, den er glaubte,
als einen der Täter von Treblinka identifizieren zu können.
    In all den Jahren, in denen Chil Rajchman seine Geschichte erzählte,
blieb der Text unveröffentlicht. Erst jetzt, nach seinem Tod, liegt er als Buch
vor. 17 Dieser Bericht, der frei von gewissen Stereotypen ist, die zuweilen in
sehr viel später verfassten Zeugnissen Überlebender zu finden sind, zeichnet
sich durch die genauen und schonungslosen Beschreibungen und den direkten
Erzählstil aus und verdient, in den Kanon großer Texte der »Literatur des
Desasters« aufgenommen zu werden.
    Annette Wieviorka, Historikerin, CNRS

1
    In verschlossenen Güterwagen zu unbekanntem Ziel.
    Die traurigen Waggons bringen mich zu diesem Ort. Sie
kommen von überall her, von Osten und Westen, von Norden und Süden. Tag und
Nacht und zu jeder Jahreszeit, Frühling, Sommer, Herbst, Winter. Die Transporte
kommen reibungslos, ununterbrochen, und Treblinka wird täglich reicher an Blut.
Je mehr gebracht wird, desto mehr kann Treblinka aufnehmen.
    Wir fahren vom Lubartówer Bahnhof ab, etwa 20 Kilometer
von Lublin entfernt.
    Ich weiß genauso wenig wie die anderen, wohin wir gebracht werden
    und warum. Unterwegs versuchen wir, mehr zu erfahren. Die ukrainischen Wachen 18 , die auf uns aufpassen,
zeigen nicht das geringste Wohlwollen und verweigern die Antwort. Das Einzige,
das wir von ihnen zu hören kriegen, ist: »Gold! Geld! Wertgegenstände!« Diese
Verbrecher kommen ständig zu uns. Es vergeht keine Stunde, ohne dass uns einer
von ihnen terrorisiert. Sie quälen uns mit Gewehrkolbenschlägen, und jeder
versucht, diese Verbrecher mit ein paar Zloty zu bestechen, um den Schlägen zu
entgehen.
    So sieht unser Transport aus.
    Meine kleine Schwester Riwke, ein hübsches Mädchen von 19
    Jahren, ist bei mir, und Wolf Ber Rojsman 19 , ein enger Freund, mit seiner Frau und seinen
beiden Kindern.
    Ich kenne fast alle im Waggon. Sie kommen aus demselben Schtetl:
Ostrów Lubelski. Wir sind einhundertvierzig Menschen, die eng
aneinandergedrängt die stickige Luft einatmen. Da wir uns wegen der Enge nicht
vom Fleck bewegen können, verrichten wir unsere Notdurft an Ort und Stelle, und
das, obwohl Männer und Frauen zusammen sind. Stöhnen ist zu hören, und die
Leute fragen einander: Wohin fahren wir? Die Antwort sind Schulterzucken und
ein Seufzer. Keiner weiß, wohin der Weg führt, und zugleich will niemand
glauben, dass wir dahin fahren, wohin unsere Brüder und Schwestern, all die
Unsrigen, seit Monaten gebracht werden.
    Neben mir sitzt noch ein anderer Freund, Katz, ein Ingenieur. Er
versichert mir, dass wir in die Ukraine fahren, dass wir auf dem Land
angesiedelt werden, das wir dann bebauen können. Er weiß es, denn das hat ihm
ein deutscher Leutnant gesagt. Er war der Verwalter eines staatlichen
Bauernhofs in Jedlinka, sechs Kilometer von unserem Schtetl entfernt. Er hat
ihm das vertraulich mitgeteilt, als Dank dafür, dass er ihm gelegentlich einen
Elektromotor repariert hat. Ich will daran glauben, obwohl alles dagegen zu
sprechen scheint.
    Wir fahren. Unser Zug wird oft von Signalen aufgehalten, da er
außerplanmäßig unterwegs ist und die regulären Züge vorbeilassen muss. Wir
fahren durch mehrere Bahnhöfe, darunter Łuków und Siedlce. Jedes Mal wenn der
Zug hält, bitte ich die Ukrainer, die auf den Bahnsteig gehen, uns Wasser zu
besorgen. Sie antworten nicht, aber wenn sie eine goldene Uhr von uns bekommen,
bringen sie etwas Wasser. Viele haben sich von ihren Kostbarkeiten

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