Ich bin der letzte Jude
getötet. Die meisten wurden bei einer
Riesenhetzjagd aufgegriffen, ein paar Dutzend waren nach Kriegsende noch am
Leben.
Um über den Autor etwas mehr zu erfahren, müssen andere Quellen
herangezogen werden. 6 Chil Rajchman wurde am 14. Juni 1914 in Lodz (Polen) geboren. Dort lebte er bis
zum Krieg mit seinem Vater, seinen beiden Schwestern und seinen drei Brüdern.
Die Mutter war bereits 1931 gestorben. Łódź, im Ostteil Polens gelegen, war
als Teil des »Reichsgaus Wartheland« dem Deutschen Reich einverleibt worden und
hieß ab April 1940 »Litzmannstadt«. Ein Bruder Chils gelangte in den sowjetisch
besetzten Teil Polens und überlebte dort den Krieg. Im Oktober 1939 kamen Chil
und seine jüngere Schwester – die ältere war bereits verheiratet – nach
Pruszków im Generalgouvernement, etwa zwanzig Kilometer von Warschau entfernt.
Die übrige Familie blieb in Łódź und wurde dort bald im Getto eingeschlossen.
Chil wurde für kurze Zeit zur Zwangsarbeit verpflichtet, seine Schwester ins
Warschauer Getto geschickt. Dort fanden sich die Geschwister wieder, nachdem
das Arbeitslager von Pruszkow aufgelöst worden war und alle Juden ins
Warschauer Getto ziehen mussten.
Auf Wegen, über die er sich nicht weiter auslässt, und zu
unbekanntem Zeitpunkt konnte sich Rajchman die nötigen Papiere beschaffen und
ging mit seiner Schwester nach Ostrów Lubelski, etwa dreißig Kilometer
nordöstlich von Lublin. Seiner Erinnerung zufolge verbrachte er dort eine Zeit
ohne Leiden, und es gab zu essen – bis zu dem Zeitpunkt, als die Deutschen
beschlossen, dieses Gebiet »judenfrei « zu machen. Er
und seine Schwester und alle Juden der umliegenden Dörfer wurden am 10. Oktober
1942 nach Lubartów gebracht.
Hier setzt der Bericht ein: »Die traurigen Waggons bringen mich zu
diesem Ort« nach Treblinka, dem Ort, von dem Rajchman bis dahin nichts wusste.
Chil Rajchman durchlebte in Treblinka die Hölle –
um den Titel der Broschüre von Wassili Grossman 7 aufzunehmen. Grossman war damals
Kriegskorrespondent für die sowjetische Presse und stellte mit Ilja Ehrenburg
das Schwarzbuch 8 zusammen, das Augenzeugenberichte über die Ermordung der Juden in der
Sowjetunion enthält. Die Hölle von Treblinka beruht
auf Augenzeugenberichten, die Grossman ab 1944 sammelte, sowie auf
schriftlichen Erklärungen an die »Untersuchungskommission für NS -Verbrechen in Polen«. 9 Der Autor lieferte damit eine ergreifende
Beschreibung des Ortes, den er im September 1944 besichtigte: »Den westlichen
Bug entlang ziehen sich von Warschau nach Osten Sandflächen und Sümpfe, dichte
Nadel- und Laubwälder. Diese Gegend ist öde und trist, selten trifft man auf
Dörfer. Der Fußgänger wie der Durchreisende meiden die versandeten, schmalen
Feldwege, in denen der Fuß versinkt und das Rad bis zur Achse in tiefem Sand
versackt.« Dort lag auf der von Siedlce kommenden Eisenbahnlinie, etwas über
sechzig Kilometer von Warschau entfernt, mitten auf dem Land der kleine Bahnhof
Treblinka; auch der Knotenpunkt Małkinia, wo sich die Eisenbahnlinien von
Warschau, Białystok, Siedlce und Łomża treffen, war nicht weit. Eine
eintönige Landschaft, »Kiefern, Sand, Sand und wieder Kiefern, Heidekraut,
vertrocknetes Gebüsch, dürftige Bahnhofsbauten, Gleise, die sich überschneiden
… Und vielleicht hat das gelangweilte Auge des Reisenden flüchtig das
einspurige Nebengleis gestreift, das von der Station aus zwischen eng
herandrängenden Kiefern in den Wald verläuft. Dieses Gleis führt zu einer
Grube, aus der weißer Sand für industrielle und Wohnungsbauten gewonnen wurde.
Die Sandgrube liegt vier Kilometer von der Station entfernt, in einer auf allen
Seiten von Kiefernwald umgebenen Einöde. Der Boden ist hier karg und
unfruchtbar, die Bauern bestellen ihn nicht. So ist die Einöde wüst geblieben.
Da und dort ist der Boden moosbedeckt, da und dort wachsen magere kleine
Kiefern. Manchmal fliegt eine Dohle oder ein buntschopfiger Wiedehopf
vorbei. Dieses traurige Ödland wurde von dem deutschen Reichsführer- SS Heinrich Himmler ausgesucht und für geeignet befunden,
hier eine Richtstätte für die ganze Welt zu schaffen. Das Menschengeschlecht
hat ihresgleichen von den Zeiten vorgeschichtlicher Barbarei bis in unsere
harten Tage nie gekannt.«
Das Vernichtungslager Treblinka wurde im Juni 1942 errichtet – etwa
zwei Kilometer vom Zwangsarbeitslager entfernt, das seit 1941 bestand – und im
Juli 1942 in Betrieb genommen. Zunächst brachten die
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