Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
Der Schatten Richelieus
In einem uns schon bekannten Gemache des Kardinalspalastes, an einem Tische mit vergoldeten Ecken, der mit Papieren, Büchern und Schriften beladen war, saß ein Mann, der seinen Kopf in beide Hände stützte. Hinter ihm war ein weiter, vom Feuer geröteter Kamin, worin die brennenden Scheiter auf breiten, vergoldeten Böcken ineinander fielen. Der Wiederschein des Herdes erhellte die prächtige Kleidung dieses Träumers von rückwärts, während ihn vorn das Licht eines mit Kerzen ausgestatteten Kandelabers erleuchtete.
Wenn man diese rote Kleidung, diese reichen Spitzen, dazu diese blasse und gedankenvoll niedergebeugte Stirn sah, die Einsamkeit dieses Kabinetts, die Stille der Vorzimmer, den abgemessenen Schritt der Wachen am Vorplatze betrachtete, so konnte man meinen, der Schatten des Kardinals von Richelieu befinde sich noch in seinem Zimmer. Ach! es war in der Tat nur noch der Schatten des großen Mannes. Das geschwächte Frankreich, die verkannte Autorität des Königs, die abermals schwach und aufrührerisch gewordenen Großen, der über die Grenzen zurückgetriebene Feind, alles gab Zeugnis, daß Richelieu nicht mehr da sei.
Was aber noch mehr als alles das Angeführte zeigte, daß die rote Kleidung nicht die des alten Kardinals sei, war diese Absonderung, welche, wie schon bemerkt, viel mehr die eines Schattens als eines lebenden Menschen zu sein schien, das waren die von Hofleuten entvölkerten Gänge, diese Höfe, von Wachen angefüllt; das war diese höhnische Gesinnung, die sich auf der Straße kundgab und durch die Fenster dieses Zimmers drang, die der Hauch einer gegen den Minister vereinigten Stadt erschütterte; das war endlich ein fernes, stets wiederholtes Dröhnen von Flintenschüssen, welche zum Glück ohne Zweck und ohne Folgen, und nur deshalb abgefeuert wurden, damit sie den Garden, den Schweizern, den Musketieren und Soldaten, die das Palais-Royal umzingelten (denn der Kardinalspalast selber veränderte den Namen), zeigen sollten, daß auch das Volk im Besitze von Waffen sei.
Dieser Schatten Richelieus war Mazarin. Mazarin war allein und fühlte sich schwach.
»Ausländer!« murmelte er, »Italiener, das ist ihr ohnmächtiges Wort! Mit diesem Worte haben sie Concini erdolcht, aufgehenkt und verschlungen, und ließe ich sie gewähren, würden sie mich gleichfalls umbringen, aufknüpfen und zerfleischen, wiewohl ich ihnen nie ein anderes Leid zufügte, als daß ich sie ein bißchen aussog. Die Schwachköpfe, sie fühlen also nicht, daß keineswegs dieser Welsche, der das Französisch so schlecht spricht, ihr Feind ist, sondern vielmehr jene, welche die Gabe besitzen, ihnen so glatte Worte im reinen und guten Pariser Dialekte vorzutragen.«
»Ja, ja!« fuhr der Minister mit seinem feinen Lächeln fort, das jetzt seltsam von seinen bleichen Lippen abstach, »ja, euer Geschrei sagte es mir, daß das Los der Günstlinge wandelbar ist; doch wenn ihr das wisset, so muß es euch bekannt sein, daß ich kein gewöhnlicher Günstling bin! Der Graf vor Essex besaß einen kostbaren, mit Diamanten übersäten Ring, den ihm seine königliche Gönnerin geschenkt hatte; ich besitze nur einen einfachen Ring mit Namenszug und Datum, doch dieser Ring ward in der Kapelle des Palais-Royal gesegnet; somit werden sie mich nicht zu Grunde richten, wie sie es wünschen. Sie gewahren es nicht, daß ich sie mit ihrem ewigen Geschrei: »Nieder mit Mazarin!« bald werde rufen lassen: »Es lebe Herr von Beaufort!« – bald: »Es lebe der Prinz!« und bald ebenso lebhaft: »Es lebe das Parlament!« – Nun, Herr von Beaufort ist in Vincennes; der Prinz wird heute oder morgen zu ihm kommen, und das Parlament – – –«
Hier verwandelte sich das Lächeln des Kardinals in einen Ausdruck von Haß, dessen sein freundliches Antlitz unfähig schien. »Und das Parlament – – je nun, wir werden sehen, was wir aus dem Parlament machen; wir haben Orleans und Montargis. O, ich will die Zeit hierzu benützen, doch diejenigen, welche zu schreien anfingen: »Nieder mit Mazarin!« – werden zuletzt ausrufen: »Nieder da mit all' diesen Leuten, einen nach dem andern!« O, wäre ich nur kein Ausländer, wäre ich nur Franzose und von edler Geburt! –«
Wir wollen jetzt sehen, was von beiden Seiten geschah.
Am siebenten Januar hatten sich siebenhundert bis achthundert Kaufleute von Paris aus Anlaß einer neuen Steuer, die man den Hauseigentümern auferlegen wollte, zusammengerottet und dagegen
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