Ich Bin Gott
auf.
» Wir hatten doch eine Vereinbarung, oder?«
Vivien musste lächeln. Im Grunde stimmte das. Es war sein gutes Recht, und niemand konnte ihm vorwerfen, die Abmachung nicht eingehalten zu haben. Als sie die Zeitungsseite betrachtete, kam ihr allerdings eine Frage in den Sinn, und sie beschloss, ihre eigene und die Neugierde der anderen sofort zu stillen.
» Eine Sache würde ich aber gerne wissen, Russell.«
» Nämlich?«
» Wie bist du an das Foto von John gekommen. Wir waren doch die ganze Zeit zusammen, und ich habe dich nie mit einem Fotoapparat gesehen.«
Russell lächelte, stand auf und ging zum Schreibtisch.
» Mein Bruder hat mir etwas hinterlassen. Von ihm weiß ich auch, wie und wann man es benutzt.«
Er steckte eine Hand in die Tasche und zog sie geschlossen wieder hervor. Dann streckte er den Arm aus, und als er die Faust öffnete, konnten alle sehen, was sich darin befand. Vivien unterdrückte mühsam ein Lachen. Was da auf Russells Handfläche lag, war eine winzige Miniaturkamera.
Die wahre Geschichte eines falschen Namens
Bei der Beerdigung meiner Mutter hat es geregnet, und Vivien hat meine Hand gehalten.
Während ich auf dem kleinen Friedhof von Brooklyn, wo schon meine Großeltern beerdigt sind, den Regen auf den Schirm prasseln hörte, hat man den Sarg in das Grab hinabgelassen. Ich war traurig, weil ich nie genau wusste, wer Greta Light wirklich ist. Mit der Zeit werde ich es aber sicher herausfinden, denn ich erinnere mich noch an alle unsere Worte und Spiele und an all die fröhlichen Augenblicke, die wir miteinander erlebt haben. Auch wenn ich fast alles kaputt gemacht hätte, mit der Hilfe meiner Tante könnte ich es schaffen. Sie ist eine unglaubliche Frau, obwohl auch ihr die Tränen übers Gesicht gelaufen sind, die Tränen eines Menschen, der dem Tod begegnet.
Der Pfarrer hat von Staub und Erde und Rückkehr gesprochen.
Als ich ihn angeschaut und seine Worte gehört habe, musste ich an Pater McKean denken, an all das, was er für mich und andere getan hat. Es war schrecklich zu erfahren, was sich hinter seinem Blick verbarg und wozu er in der Lage war. Es war schrecklich zu erfahren, dass das Böse auch an Orte kommt, wo es nicht sein sollte.
Man hat mir erklärt, dass er all die schlimmen Dinge nicht wirklich gewollt hat, sondern dass nur ein Teil von ihm von etwas Bösem besessen war, das er nicht kontrollieren konnte.
Als wären in einem einzigen Körper zwei verschiedene Seelen.
Das ist nicht einfach zu akzeptieren, doch es ist einfach zu verstehen, weil ich es am eigenen Leib gespürt habe.
Ich habe gesehen, wie dieser kranke Teil zusammen mit dem Körper meiner Mutter Greta Light ins Grab versenkt wurde. Zwei verdorbene Teile, die zur Erde zurückkehren und zu Staub werden sollen. Sie und Pater McKean, ihr wirkliches und wahres Leben, werden immer bei mir sein. Als ich Vivien in die Augen geschaut habe, durch Schmerz und Tränen hindurch, habe ich gesehen, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Mein Vater war nicht auf der Beerdigung.
Er hat mich angerufen und erklärt, dass er auf der anderen Seite der Erdkugel sei und nicht rechtzeitig kommen könne. Früher hätte ich ihn vermisst und vielleicht geweint. Jetzt gibt es wichtigere Dinge, für die ich Tränen vergieße. Seine Abwesenheit ist nur eine weitere leere Schachtel neben vielen anderen leeren Schachteln, die jetzt keine bösen Überraschungen mehr bereithalten, weil ich endlich kapiert habe, dass mich ihr Inhalt nicht interessiert.
Ich habe eine Familie. Und er hat sich entschieden, nicht dazuzugehören.
Als die Beerdigung zu Ende war und die Leute schon fortgingen, bin ich allein mit Vunny vor der frisch aufgeschaufelten Erde stehen geblieben. Sie hat nach Moos und Wiedergeburt gerochen.
Dann hat sich Vunny umgeschaut, und ich bin ihrem Blick gefolgt.
Ein Stückchen weiter stand ein großer Mann im Regen, ohne Hut und ohne Schirm, nur in einem dunklen Regenmantel. Ich habe ihn sofort wiedererkannt. Es war Russell Wade, der immer bei den Ermittlungen dabei war und jetzt in der New York Times die Serie mit dem Titel D ie wahre Geschichte eines falschen Namens veröffentlicht.
Früher standen in den Zeitungen ziemlich üble Geschichten über ihn, aber jetzt scheint er es geschafft zu haben, sein Leben völlig umzukrempeln. Alles kann sich offenbar ändern, wenn man es am wenigsten erwartet und falls man es wirklich will. Vivien hat mir den Schirm in die Hand gedrückt und ist im strömenden Regen zu
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