Ich Bin Gott
lasse dich jetzt allein. Über alles andere können wir später sprechen. Das sind Lappalien im Vergleich zu dem, was ich dir gerade mitgeteilt habe.«
» Ja, John, geh nur. Ich komme gleich nach.«
» Okay, dann warte ich unten auf dich.«
Pater McKean sah seinen Vertrauten hinausgehen und schloss sanft die Tür hinter ihm. Es tat ihm leid, dass John sich Sorgen machte. Was ihn aber wirklich schmerzte, war die Vermutung, dass er ihn enttäuscht hatte.
Ich bin Gott …
Er war nicht Gott und wollte es auch gar nicht sein. Er war nur ein Mensch, der sich seiner irdischen Grenzen bewusst war. Bis zu diesem Augenblick hatte er sich damit begnügt, Gott mit all seinen Kräften zu dienen und zu akzeptieren, was er bekam und was von ihm verlangt wurde. Aber jetzt …
Er nahm das Handy vom Schreibtisch, suchte im Verzeichnis die Nummer der Erzdiözese von New York und wählte. Gemessen an seiner Ungeduld läutete es ein paarmal zu oft, und als sich endlich jemand meldete, redete er sofort los.
» Hier ist Reverend Michael McKean von Saint Benedict in der Bronx. Ich bin außerdem der Leiter des Joy, das sich um Jugendliche mit Drogenproblemen kümmert. Ich würde gerne mit dem Büro des Erzbischofs sprechen.«
Normalerweise stellte er sich nicht so ausführlich vor, doch jetzt wollte er alles, was er aufzubieten hatte, in die Waagschale werfen, damit sein Anruf sofort durchgestellt wurde.
» Einen Augenblick, Pater McKean.«
Der Vermittler setzte ihn in die Warteschleife. Kurz darauf meldete sich eine junge, freundliche Stimme.
» Guten Tag, Reverend. Mein Name ist Samuel Bellamy. Ich bin ein Mitarbeiter von Kardinal Logan. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«
» Ich muss so bald wie möglich mit Seiner Eminenz sprechen. Persönlich. Glauben Sie mir, es geht um Leben und Tod.«
Offenbar hatte er seine Not sehr überzeugend zum Ausdruck gebracht, denn in der Antwort schwang neben leiser Besorgnis auch aufrichtiges Bedauern mit.
» Der Kardinal ist leider heute Vormittag zu einer Reise nach Rom aufgebrochen. Er wird den Heiligen Stuhl aufsuchen und vom Papst empfangen werden. Vor Sonntag wird er nicht zurück sein.«
Michael McKean fühlte sich plötzlich verloren. Eine ganze Woche! Er hatte gehofft, die Last seiner Qual mit dem Erzbischof teilen zu können, hatte auf einen Rat oder eine Anweisung gehofft. Weit davon entfernt, an das Wunder einer Entbindung vom Beichtgeheimnis zu glauben, hätte er ein tröstliches Gespräch mit einem Vorgesetzten jetzt dringend gebraucht.
» Kann ich vielleicht etwas für Sie tun, Reverend?«
» Leider nicht. Ich bitte Sie nur, mir so bald wie möglich ein Treffen mit Seiner Eminenz zu ermöglichen.«
» Soweit es in meiner Macht steht, kann ich Ihnen das zusagen. Ich werde Sie persönlich in Ihrer Pfarrei kontaktieren.«
» Ich danke Ihnen.«
Pater McKean beendete das Gespräch, ließ sich auf der Bettkante nieder und spürte, wie die Matratze unter seinem Gewicht nachgab. Zum ersten Mal, seit er sich entschieden hatte, das Gelübde abzulegen, fühlte er sich wirklich allein. Und wie jener, der die Welt Liebe und Vergebung gelehrt hatte, fühlte er sich zum ersten Mal versucht, den einen und wahren Gott zu fragen, warum er ihn verlassen habe.
20
Vivien verließ das Revier und ging zum Auto. Die Temperatur war gefallen. Die Sonne, die am Morgen unberührbar gewirkt hatte, kämpfte jetzt mit einem Wind, der unangekündigt von Westen gekommen war. Wolken und Schatten rivalisierten um Himmel und Erde. Das schien überhaupt das Schicksal dieser Stadt zu sein: laufen und hinterherlaufen, ohne jemals irgendetwas wirklich zu fassen zu bekommen.
Sie fand Russell Wade genau dort, wo sie sich verabredet hatten.
Vivien hatte noch keine klare Vorstellung von diesem Mann. Jedes Mal, wenn sie eine zu haben glaubte, kam eine plötzliche Wendung, etwas Unerwartetes und Unwahrscheinliches, und zerstörte ihr vorläufiges Bild. Das irritierte sie.
Während sie auf ihn zuging, ließ sie sich die ganze verrückte Geschichte nochmals durch den Kopf gehen.
Als am Ende der Unterredung mit dem Captain allen klar war, dass es nichts mehr zu sagen, sondern nur noch viel zu tun gab, hatte sich Vivien an Wade gewandt.
» Könnten Sie einen Augenblick draußen auf mich warten, bitte?«
Der unglückliche Gewinner eines unverdienten Pulitzerpreises stand auf und ging zur Tür.
» Kein Problem. Auf Wiedersehen, Captain Bellew. Und vielen Dank.«
Die Antwort Bellews war um Höflichkeit bemüht,
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