Ich Bin Gott
war.
Jetzt machte er sich klar, dass er alle Antworten bekommen hatte, die er hatte bekommen können. Solange die Ermittlungen noch liefen, unterlag jede Information, die Vivien als Polizistin besaß, der Vertraulichkeit.
Jeder hatte sein Beichtgeheimnis und trug die Last der Verantwortung, die er mit seinem Gelübde übernommen hatte, mochte das Gelübde nun weltlicher oder religiöser Natur sein.
Ego sum Alpha et Omega …
Pater McKean blickte durch das Fenster auf die grüne und blaue Frühlingslandschaft, die ihn sonst mit Frieden erfüllte. Jetzt schien sie ihm feindlich gesinnt, als wäre der Winter zurückgekehrt, der aber weniger draußen herrschte als in seinem Gemüt. Nachdem er wie ein Schlafwandler aufgestanden war, hatte er geduscht und mit neuer Inbrunst seine Gebete gesprochen. Dann war er im Zimmer hin und her gegangen. Die Dinge, die ihn umgaben, hatte er kaum wiedererkannt. Ärmliche, einfache Gegenstände, die für die alltäglichen Probleme seines Lebens standen, ihm jetzt aber zu einer glücklichen und für immer verlorenen Zeit zu gehören schienen.
Es klopfte.
» Ja?«
» Michael, ich bin’s, John.«
» Komm herein.«
Pater McKean hatte ihn erwartet, denn sie trafen sich jeden Montagmorgen, um die Pläne für die kommende Woche zu besprechen. Es waren schwierige Momente, doch sie bedeuteten auch die Befriedigung der Pflichterfüllung und den Kampf für ein gemeinsames Ziel, allen Widrigkeiten zum Trotz. Heute allerdings zog sein Vertrauter ein Gesicht, als wäre er lieber woanders.
» Entschuldige die Störung, aber es gibt etwas, das ich unbedingt mit dir besprechen muss.«
» Du störst nicht. Was ist los?«
Angesichts ihrer Vertrautheit und der gegenseitigen Wertschätzung hielt John eine kleine Vorrede für angebracht.
» Ich weiß nicht, was mit dir geschehen ist, Mike, doch ich bin mir sicher, dass du es mir zu gegebener Zeit mitteilen wirst. Leider muss ich dich jetzt trotzdem mit etwas belästigen.«
Zum wiederholten Male wurde Reverend McKean bewusst, wie taktvoll John Kortighan war und wie froh er selbst sein konnte, jemanden mit dieser menschlichen Größe zu seinen Mitarbeitern zählen zu dürfen.
» Das macht nichts, John. Es ist auch nichts Schlimmes passiert, glaub mir. Und es wird bald vorbei sein. Was wolltest du denn?«
» Wir haben ein Problem.«
Das Joy hatte immer Probleme: mit den Jungen und Mädchen, mit dem Geld, mit Mitarbeitern, mit den Versuchungen der Welt draußen. Was er jetzt in Johns Gesicht sah, ließ allerdings eine neue Dimension vermuten.
» Ich habe heute Vormittag mit Rosaria gesprochen.«
Rosaria Carnevale war ein Gemeindemitglied von Saint Benedict. Sie war italienischer Abstammung, wohnte in Country Club und leitete eine Filiale der M&T Bank in Manhattan. Die Niederlassung kümmerte sich um die ökonomischen Interessen des Joy und um die Verwaltung des von Anwalt Barry Lovito hinterlassenen Vermögens.
» Was sagt sie denn?«
John berichtete, was er lieber nicht berichten würde.
» Sie sagt, dass sie sich ein Bein ausgerissen habe, damit wir während des laufenden Verfahrens die von der Stiftung vorgesehene monatliche Zahlung erhalten. Jetzt hat sie allerdings auf Antrag der vermeintlichen Erben eine neue gerichtliche Anweisung bekommen. Die Zahlungen werden eingefroren, bis der Streitfall ausgestanden und das Urteil gesprochen ist.«
Solange der Richter kein Urteil gefällt haben würde, würde also, vom Zuschuss des Staates New York mal abgesehen, die Hauptfinanzquelle des Joy versiegen. Um die zahlreichen Bedürfnisse zu stillen, würden sie sich von diesem Moment an auf ihre eigenen Kräfte und auf spontane Spenden wohlmeinender Mitmenschen verlassen müssen.
Pater McKean blickte wieder zum Fenster hinaus, schweigend und gedankenverloren. Als er dann sprach, konnte John zum ersten Mal so etwas wie Mutlosigkeit aus seiner Stimme heraushören.
» Wie viel haben wir in der Kasse?«
» Praktisch nichts mehr. Wenn wir ein Unternehmen wären, würde ich sagen, wir sind bankrott.«
McKean drehte sich um. Ein kleines, farbloses Lächeln flog über sein Gesicht.
» Keine Sorge, John. Wir schaffen das schon. Wie immer. Wir schaffen es auch dieses Mal.«
Doch seine Stimme verriet nichts von dieser angeblichen Zuversicht. Mit seinen Worten schien er eher sich selbst etwas vormachen, als seinen Gesprächspartner überzeugen zu wollen.
John spürte, wie die Kälte der Realität sich langsam im Zimmer ausbreitete.
» In Ordnung. Ich
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