Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
gesessen hatten. 6400 Schulen waren in sich zusammengefallen, und 18000 Kinder hatten ihr Leben verloren. Wir dachten daran zurück, wie verängstigt wir an dem Morgen gewesen waren, und sammelten in der Schule Geld. Jeder gab, was er konnte. Mein Vater ging zu allen Leuten, die er kannte, und bat um Lebensmittel-, Kleider- und Geldspenden, und ich half meiner Mutter, Decken zu sammeln.
Mein Vater sammelte Geld beim Verband der Privatschulen und beim Global Peace Council zu dem, was wir in der Schule eingenommen hatten. Insgesamt kam eine Million Rupien zusammen. Ein Verlag in Lahore, der uns die Schulbücher lieferte, schickte fünf Lastwagen mit Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Dingen.
Wir machten uns schreckliche Sorgen um unsere Verwandten im Shangla-Gebiet, das zwischen Berge gezwängt war, aber alle Telefone funktionierten nicht mehr. Endlich erhielten wir Nachricht von einem Vetter. In dem kleinen Heimatdorf meines Vaters waren acht Menschen getötet und zahlreiche Häuser zerstört worden, darunter das Haus von Mullah Maulana Khadim. Als es einstürzte, wurden er und seine vier schönen Töchter zu Tode gequetscht.
Mit meinem Vater und den Lastwagen wollte ich nach Shangla fahren, aber er meinte, das sei zu gefährlich.
Als er nach ein paar Tagen zurückkehrte, war er aschfahl im Gesicht. Er berichtete uns, dass der letzte Abschnitt der Fahrt sehr schwierig gewesen sei. Ein Großteil der Straße sei in den Fluss weggebrochen, stellenweise hätten riesige herabgestürzte Felsbrocken den Weg blockiert.
Unsere Verwandten und Freunde erzählten, sie hätten gedacht, es sei das Ende der Welt gekommen. Sie schilderten das Getöse der von den Berghängen rutschenden Gesteinsbrocken und dass alle Leute aus ihren Häusern gerannt seien und dabei aus dem Koran rezitiert hätten. Sie berichteten von den Schreien der Menschen, wenn Dächer einstürzten, vom Gebrüll der Büffel und Ziegen.
Als die Beben weitergingen, hätten sie den ganzen Tag im Freien verbracht und trotz der bitteren Kälte in den Bergen auch die Nacht, dicht aneinandergeschmiegt, um sich zu wärmen.
Danach seien als einzige Rettungsarbeiter einige von einer ausländischen Hilfsorganisation vor Ort sowie Freiwillige von den Taliban und der Tehrik-e-Nifaz-e-Shariat-e-Mohammadi ( TNSM ) aufgetaucht. Diese Bewegung, die sich für die Einführung des islamischen Rechts starkmachte, war von Sufi Muhammad gegründet worden und hatte Männer zum Kampf nach Afghanistan geschickt. Sufi Muhammad saß seit 2002 im Gefängnis, als Musharraf auf Druck der Amerikaner einige Führer des bewaffneten Kampfes verhaftete, doch seine Organisation blieb davon unberührt und wurde von seinem Schwiegersohn Maulana Fazlullah geführt.
Für die Regierung war es schwer, diese Gebiete zu erreichen, da alle Straßen nahezu unpassierbar waren und die lokale Verwaltung in der ganzen Region hinweggefegt worden war. Wir sahen einen Beamten der Vereinten Nationen im Fernsehen sagen, es sei »der schlimmste logistische Alptraum, mit dem die UN je konfrontiert gewesen ist«.
General Musharraf nannte es eine »Prüfung der Nation« und verkündete, die Armee habe die »Operation Rettungsanker« ins Leben gerufen – unsere Armee gibt ihren Operationen gern Namen. Eine Menge Bilder von Armeehubschraubern, die mit Versorgungsgütern und Zelten beladen waren, wurden dann auch im Fernsehen ausgestrahlt.
Aber die Hubschrauber konnten in vielen der kleinen Dörfer nicht landen, und die Hilfspakete, die sie abwarfen, rollten oft Abhänge hinab, direkt in die Flüsse. An anderen Orten rannten die Einheimischen unter die Hubschrauber, so dass sie nichts gefahrlos abwerfen konnten.
Dennoch kam einiges an Hilfe an. Die Amerikaner waren schnell, weil sie nebenan in Afghanistan Tausende von Soldaten und Hunderte von Hubschraubern stationiert hatten und sie mühelos herüberfliegen und so zeigen konnten, dass sie uns in der Stunde der Not beistehen würden. Manche Soldaten aber verbargen aus Angst vor Ausschreitungen die amerikanische Flagge. Für viele Menschen in den abgelegenen Gebieten war es das erste Mal, dass sie einen Fremden zu sehen bekamen.
Die meisten Freiwilligen wurden von islamischen Hilfsorganisationen geschickt, doch viele davon arbeiteten in Wirklichkeit für radikale Gruppierungen, die ihre eigenen Zwecke verfolgten. Am häufigsten traf man auf die Jamaat-ud-Dawa (JuD), den zivilen Arm der Lashkar e-Taiba (LeT), der Miliz der Reinen. Die LeT hatte enge
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