Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
die Feiern völlig unsinnig seien. Bald wurden sie verhaftet und mussten eine Strafe zahlen, die sie nicht aufbringen konnten.
Einige Monate nach meiner Geburt wurden drei Räume über der Schule frei, und wir zogen alle um. Die Wände waren aus Beton, aber immerhin gab es fließendes Wasser. Es war also eine echte Verbesserung im Vergleich zu der schmutzigen Hütte, in der wir bis jetzt gelebt hatten. Doch wir wohnten immer noch sehr beengt, denn wir teilten die drei Räume mit Hidayatullah und hatten fast immer Besuch. Die erste Schule, die mein Vater gründete, war sehr klein, eine gemischte Grundschule mit fünf oder sechs Lehrkräften und etwa 100 Schülerinnen und Schülern, die 100 Rupien pro Monat bezahlten. Mein Vater machte alles selbst; er war Kehrer, Lehrer, Buchhalter und Rektor. Er tünchte die Wände, putzte die Toiletten und kletterte auf Strommasten, um Fahnen aufzuhängen, die für die Schule warben, obwohl er solche Höhenangst hatte, dass seine Füße zitterten, wenn er oben auf der Leiter stand. Fiel der Motor der Wasserpumpe aus, stieg mein Vater in den Brunnen hinunter, um ihn zu reparieren. Als ich klein war, habe ich geweint, weil ich dachte, er käme nicht zurück. Wenn Miete und Gehälter bezahlt waren, blieb wenig Geld für Lebensmittel übrig. Wir tranken grünen Tee, weil wir uns die Milch für normalen Tee nicht leisten konnten. Aber nach einer gewissen Zeit fing die Schule an, sich zu rentieren, und schon plante mein Vater eine zweite, die er »Malala-Akademie für Bildung« nennen wollte.
Der Schulflur war mein Spielzimmer. Mein Vater sagte, ich sei in die Klassenräume getappt und hätte wie eine Lehrerin etwas vorgetragen, noch bevor ich richtig sprechen konnte. Einige Lehrerinnen, wie etwa die Erzieherin Miss Ulfat, nahmen mich auf ihren Schoß, als sei ich ihr Hündchen. Als ich dann drei oder vier war, wurde ich zu viel älteren Kindern in den Unterricht gesteckt. Staunend hörte ich mir alles an, was ihnen beigebracht wurde. Manchmal ahmte ich die Lehrer nach. Man kann sagen, dass ich in einer Schule aufgewachsen bin.
Wie mein Vater schon bei Naeem festgestellt hatte, ist es nicht einfach, Geschäft und Freundschaft miteinander zu verbinden. Hidayatullah gründete dann seine eigene Schule, dabei teilten sie ihre Schüler auf: Jeder übernahm zwei Jahrgangsgruppen. Sie sagten nichts, weil alle glauben sollten, dass die Schule sich erfolgreich entwickelte und nun zwei Gebäude hätte.
Es war bei einem meiner Schulbesuche im September 2001 , als es eines Abends eine Riesenaufregung gab. Freunde meines Vaters rannten herbei und erzählten, in New York hätte es einen schweren Angriff auf ein Gebäude gegeben. Zwei Flugzeuge seien in dieses hineingekracht. Das war für uns schwer vorstellbar – die höchsten Bauwerke im Swat sind Krankenhäuser und Hotels mit drei Stockwerken. Was passiert war, erschien uns sehr weit weg. Auch hatte ich keine Ahnung, was New York und Amerika waren. Die Schule war meine Welt, und meine Welt war die Schule. Damals war uns nicht klar, dass der 11 . September auch unsere Welt verändern und eines Tages Krieg in unser Tal bringen würde.
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Das Dorf
I n unserer Tradition wird am siebten Lebenstag eines Kindes in der Familie ein Fest namens Woma (das heißt »siebtens«) gefeiert, zu dem Verwandte, Freunde und Nachbarn das Neugeborene bewundern kommen. Meine Eltern hatten für mich keine solche Feier abgehalten, weil sie sich die Ziege und den Reis zur Verköstigung der Gäste nicht leisten konnten, und mein Großvater wollte nichts beisteuern, weil ich kein Junge war. Als meine Brüder dann auf die Welt kamen und
Baba
die Feier bezahlen wollte, wies mein Vater ihn zurück, weil er es für mich nicht getan hatte.
Baba
, mein Großvater väterlicherseits, mit mir und Khushal in unserem Haus in Mingora.
Doch ich hatte nur diesen einen Großvater, da der Vater meiner Mutter vor meiner Geburt gestorben war, und so kamen wir gut miteinander aus. Meine Eltern sagen, ich habe Eigenschaften von beiden Großvätern – Humor und Klugheit vom Vater meiner Mutter, Redegewandtheit vom Vater meines Vaters.
Baba
war mit dem Alter milde und weißbärtig geworden, und ich ging ihn liebend gern im Dorf besuchen Wenn er mich sah, begrüßte er mich mit einem Lied, weil er mit meinem Namen wegen seiner traurigen Bedeutung immer noch unzufrieden war und er ihm ein wenig Fröhlichkeit verleihen wollte: Noch immer war er unzufrieden mit meinem Namen, der ja
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