PR NEO 0052 – Eine Handvoll Ewigkeit
1.
Perry Rhodan kannte die Stimme, und doch dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bevor er sich auf jenen Tag aus einer fernen Vergangenheit besann, an dem er sie gehört hatte.
Wie alt war er damals gewesen? Sechs Jahre? Nein, fast sieben. Sein Atem ging stoßweise. In immer schnellerer Folge schälten sich nun Einzelheiten aus dem Nebel einer längst vergessen geglaubten Zeit.
Manchester, Connecticut. Spencer Street. Die Bushaltestelle.
Rhodan glaubte das Gewicht des viel zu großen Rucksacks zu spüren, den er getragen hatte, fühlte die Strahlen der Frühsommersonne auf der Stirn.
Die Stimme gehörte dem Busfahrer. Mr. Mendez. Linie 91. Die Erinnerung stand jetzt so klar und deutlich vor ihm, dass es ihm beinahe vorkam, als wäre er wieder dort. Auf der Erde. Im Mai des Jahres 2007.
Die Impressionen verblassten und machten anderen Platz. Schlaglichtartig explodierten Dutzende von Eindrücken in seinem Kopf. Sie waren ihm fremd und vertraut zugleich, ein Teil von ihm, untrennbar mit ihm verbunden und doch wie aus einer anderen Welt.
Sein missglückter Versuch, von zu Hause fortzulaufen, seine große Schwester Deborah, die ihre Sucht noch vor dem dreißigsten Geburtstag das Leben kostete, sein Onkel Karl, wenige Jahre später mitsamt seiner Farm verbrannt, Marcus, Taylor, Reg.
Namen und Ereignisse folgten in schwindelerregendem Wechsel.
Dann kam das Feuer. Die Flammen griffen nach den Bildern seines Lebens wie nach einem Satz alter, vergilbter Fotos. Innerhalb von Sekunden hatten sie sie verzehrt, und alles, was zurückblieb, war ein kleines Häufchen Asche.
Rhodan streckte die Hand aus. Unter der Asche glitzerte etwas. Seine Finger schlossen sich um eine dünne silberne Kette und zogen sie hervor. Ohne zu wissen, warum, griff er mit der anderen Hand in seine Hosentasche.
Ein Anhänger. Auch er kam ihm vertraut vor. Er gehörte seinem Onkel und zeigte den heiligen Georg, der die Lanze auf einen Drachen gerichtet hatte. Langsam, fast zwanghaft hob er beide Arme. Anhänger und Kette passten perfekt zueinander.
Rhodan schloss die Augen. Das Schwindelgefühl, das ihn erfasst hatte, hielt nur wenige Atemzüge an. Dann war alles vorbei. Er öffnete die Augen, und vor ihm stand ...
... Atlan!
»Fühlen Sie sich nicht wohl?«, fragte der Arkonide.
Rhodan schüttelte den Kopf. Der Anhänger in seiner Handfläche hatte sich in ein schäbig aussehendes, nur wenige Zentimeter großes Ei aus Metall verwandelt. »Alles in Ordnung«, stieß er hervor. »Ich war nur für einen Moment ... abwesend.« In seinem Geist wirbelten die Scherben der Szenen aus der Vergangenheit durcheinander. Was hatte sie ausgelöst? Der Zellaktivator?
Nehmen Sie ihn! Sie haben ihn verdient!
Atlans Worte schienen noch immer in der kühlen Luft des beginnenden Tages nachzuhallen, bevor sie endgültig vom Morgennebel verschluckt wurden, der über dem verfallenen Fabrikgelände stand. Die Sonne, die auf Artekh 17 üblicherweise hinter dichten Wolken verborgen war, hatte offenbar eine Lücke gefunden, denn ihr Licht war ungewohnt hell und warm. Es würde die grauen Schwaden schnell vertreiben.
Rhodan sah zu den Gefährten hinüber, die in der Nähe einer halb eingestürzten Mauer auf den Boden gesunken waren. Der athletische Iwan Goratschin hielt die zierliche Ishy Matsu in seinen Armen. Die Japanerin hatte ihren Kopf auf die Schulter des Zündermutanten gebettet und die Augen geschlossen.
Neben dem Pärchen hockte Belinkhar im Schneidersitz, die Unterarme auf die Knie gestützt. Die noch immer feuchten Haare hingen ihr wirr in die Stirn.
Die dramatischen Ereignisse im Zweistromland, die riskante Flucht durch den reißenden Strom Khertak und der anstrengende Aufstieg an die Planetenoberfläche hatten jedes einzelne Mitglied der kleinen Gruppe gezeichnet. Sie waren erschöpft und ob des Erreichten unzufrieden. Ihr Ziel, die Gefangennahme des arkonidischen Regenten, hatten sie verfehlt. Und nicht nur das: Der Herrscher war tot; in blindem Zorn erschossen von Atlan, der seine Gefühle nicht unter Kontrolle hatte halten können. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Kurzschlusshandlung ergaben, wagte Rhodan noch nicht abzuschätzen.
Hinzu kam, dass man mit Ernst Ellert erneut einen Freund und Verbündeten von unschätzbarem Wert verloren hatte. Der Mutant hatte sich praktisch in Rhodans Armen aufgelöst und war spurlos verschwunden. Immerhin blieb dadurch wenigstens die Hoffnung, dass er nicht wirklich gestorben, sondern lediglich in einen
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