Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
Eines Tages aber war mein Spielzeugtelefon verschwunden.
Wenig später sah ich Safina mit einem Telefon spielen, das genauso aussah wie meins.
»Woher hast du das?«, fragte ich sie.
»Auf dem Basar gekauft«, lautete ihre Antwort.
Ich weiß jetzt, dass das durchaus gestimmt haben könnte, aber damals dachte ich nur: Wie du mir, so ich dir. Oft war ich bei ihr zu Hause, um dort zu lernen, und immer wenn ich da war, steckte ich nach dieser Lüge etwas von ihren Sachen ein, meistens Spielzeugschmuck wie Ohrringe oder Ketten. Es war ganz leicht.
Am Anfang fand ich es prickelnd, etwas zu stehlen, aber das hielt nicht lange an. Dinge an mich zu nehmen wurde schließlich zum Zwang. Ich konnte nicht mehr damit aufhören.
Eines Nachmittags kam ich von der Schule nach Hause und lief wie üblich in die Küche, um eine Kleinigkeit zu essen. »Hallo, Bhabi!«, rief ich. »Ich verhungere!« Keine Antwort. Meine Mutter saß auf dem Boden und mahlte Gewürze, leuchtendes Kurkuma und Kumin, und die Luft war erfüllt von ihrem Duft. Wieder und wieder stampfte sie mit dem Stößel des Mörsers auf die Körner ein. Sie sprach nicht mit mir. Sie sah mich nicht an. Was hatte ich nur getan? Traurig ging ich in mein Zimmer. Als ich den Schrank aufmachte, war alles, was ich gestohlen hatte, verschwunden. Ich war erwischt worden.
Dann kam meine Kusine Reena herein, die zu dieser Zeit bei uns zu Besuch war. »Sie haben gewusst, dass du klaust«, sagte sie. »Sie wollten abwarten, ob du von selbst wieder damit aufhörst, aber du hast immer weitergemacht.«
Ich bekam ein schreckliches Gefühl im Magen. Mit gesenktem Kopf ging ich zu meiner Mutter. »Was du getan hast, ist falsch, Malala«, sagte sie. »Versuchst du etwa, Schande über uns zu bringen, weil wir es uns nicht leisten können, solche Dinge zu kaufen?«
»Das stimmt nicht!«, log ich. »Ich hab die Sachen nicht genommen.«
Aber sie wusste, dass ich es war.
»Safina hat angefangen«, setzte ich mich zur Wehr. »Sie hat mir das rosarote Telefon geklaut, das Aba mir geschenkt hat.«
Der Ausdruck im Gesicht meiner Mutter blieb unbewegt. »Safina ist jünger als du. Du hättest ein Vorbild für sie sein müssen«, sagte sie. »Du hättest mit gutem Beispiel vorangehen müssen.«
Ich fing an zu weinen, zugleich entschuldigte ich mich immer wieder. »Sag Aba nichts«, flehte ich sie an. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, meinen Vater enttäuscht zu haben. Sich in den Augen der eigenen Eltern wertlos zu fühlen ist ein schreckliches Gefühl.
Es war nicht das erste Mal, dass ich eine solche Situation durchstehen musste. Noch sehr klein, ging ich einmal mit meiner Mutter auf den Basar und entdeckte auf einem Wagen einen Berg Mandeln. Sie sahen so köstlich aus, dass ich nicht widerstehen konnte und mir davon eine Handvoll nahm. Meine Mutter schimpfte mich aus und entschuldigte sich bei dem Händler. Er aber war furchtbar wütend und ließ sich nicht besänftigen. Damals hatten wir noch sehr wenig Geld, und sie sah in ihrer Börse nach, was sie erübrigen konnte.
»Können Sie mir die Mandeln für zehn Rupien geben?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete er. »Mandeln sind sehr teuer.«
Meine Mutter war außer sich und erzählte es meinem Vater. Er ging sofort zu dem Händler, kaufte eine große Menge Mandeln und tat sie in eine Glasschale.
»Mandeln sind gesund«, sagte er zu mir. »Wenn du sie abends zu deinem Glas Milch isst, wirst du schlau.«
Aber ich wusste, dass wir kein Geld für Mandeln hatten, und ihr Anblick in der Glasschale bereitete mir ein äußerst schlechtes Gewissen. Ich gab mir das Versprechen, so etwas nie wieder zu tun.
Und jetzt hatte ich es doch wieder getan. Meine Mutter ging mit mir zu Safina und ihrer Familie, damit ich mich entschuldigte. Es war sehr schwer für mich. Safina sagte keinen Ton über mein Telefon. Das fand ich zwar unfair, aber ich blieb stumm.
Obwohl ich mich schlecht fühlte, war ich froh, dass es vorbei war. Seit jenem Tag habe ich nie mehr gelogen oder etwas gestohlen. Keine einzige Lüge, keine einzige Münze, nicht mal das Kleingeld, das mein Vater immer im ganzen Haus liegen lässt und von dem wir uns Süßigkeiten kaufen dürfen.
Außerdem hörte ich auf, Schmuck zu tragen, weil ich mir die Frage stellte: »Was hat dieser Glitzerkram an sich, dass er mich in Versuchung führt? Wieso sollte ich für diesen albernen Tand meinen Charakter aufs Spiel setzen?« Aber meine Schuldgefühle habe ich immer noch, und bis heute bitte
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