Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
sie, ob die Erinnerung an dieses frühe Erlebnis sie von ihrer Depression befreit habe. Sie sagte, ihre Gefühle hätten dadurch eine andere Färbung bekommen. Wenn sie sich an den Tod ihrer Mutter erinnerte, hatte sie immer noch ein melancholisches Gefühl, doch sie empfand nicht mehr wie zuerst die ursprüngliche überwältigende Verzweiflung. Es sah aus, als erinnere sie sich jetzt bewusst an ein Gefühl, das anfänglich das
Wiedererleben
eines Gefühls war. In der zweiten Phase erinnerte sie sich, wie es gewesen war, als sie die ursprünglichen Empfindungen gehabt hatte. In der ersten Phase dagegen brach in ihr
dasselbe
Gefühl mit unverminderter Wucht hervor, das sie beim Tod ihrer Mutter überschwemmt hatte und nun seit ihrem fünften Lebensjahr unverarbeitet in ihrem Innern eingekapselt lagerte.
Angenehme Empfindungen werden ganz auf die gleiche Weise hervorgerufen. Wir wissen alle, wie ein Duft, ein Klang, ein flüchtiger Anblick eine unbeschreibliche Freude bewirken können, die manchmal so kurzlebig ist, dass sie fast unbemerkt bleibt. Wenn wir uns nicht darauf konzentrieren, können wir uns nicht daran erinnern, wo wir dem Geruch, dem Klang oder dem Anblick früher schon einmal begegnet sind. Doch das
Gefühl
ist wirklich.
Ein anderer Patient berichtete Folgendes: Er ging irgendwo durch die Stadt, als ihn plötzlich der Geruch von Kalk und Schwefel anflog. So riecht die Lösung, mit der man Bäume spritzt, und allgemein fühlen sich die Leute von dem Gestank belästigt. Er aber fühlte bewusst, wie ihn eine strahlende, unbekümmerte Freude durchströmte. Da dieses Gefühl positiv war, fiel es ihm leichter, die ursprüngliche Situation aufzuspüren. Mit dieser Lösung waren in den ersten Frühlingstagen immer die Apfelbäume zu Hause im Garten gespritzt worden, und als der Patient noch ein kleiner Junge war, hielt er diesen Geruch für gleichbedeutend mit dem Nahen des Frühlings, dem Grünen der Bäume und all den Herrlichkeiten, die ein kleiner Junge nach dem langen Winter auskostet, wenn er wieder ins Freie darf. Wie im Falle der ersten Patientin unterschied sich in zarten Nuancen die bewusste Erinnerung an das Gefühl von dem Ausbruch des ursprünglichen Gefühls, den er erfahren hatte. Er konnte das berauschende Eintauchen in die Vergangenheit, das sich ohne sein Zutun eingestellt hatte, wieder ganz so empfinden, wie er es in diesem flüchtigen Moment getan hatte. Es war, als hätte er jetzt
ein Gefühl für sein Gefühl
statt das Gefühl selbst.
Das illustriert eine andere Schlussfolgerung von Penfield: Die Aufzeichnung der Erinnerung bleibt auch dann intakt, wenn der Betreffende selbst nicht mehr fähig ist, sie hervorzurufen:
«Erinnerung, die im Schläfenlappen wachgerufen wird, behält den detaillierten Charakter des ursprünglichen Erlebnisses. Wenn sie auf diese Weise dem Patienten ins Bewusstsein gebracht wird, scheint das Erlebnis in der Gegenwart stattzufinden, vielleicht weil es sich so unwiderstehlich seiner Aufmerksamkeit bemächtigt. Erst wenn es vorbei ist, kann der Patient es als eine lebhafte Erinnerung aus der Vergangenheit erkennen.»
Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass das Gehirn wie ein Hi-Fi-Gerät originalgetreu jedes Erlebnis von der Geburt an aufnimmt, vielleicht sogar noch aus der Zeit davor.
Die Informationsspeicherung im Gehirn ist zweifellos ein chemischer Datenverarbeitungsprozess, der noch nicht völlig erklärt werden kann. Obwohl er zu stark vereinfacht sein mag, hat sich doch der Vergleich mit dem Tonbandgerät bei der Erklärung des Erinnerungsvorgangs bewährt. Wichtig ist dabei, dass ungeachtet der Aufnahmemethode die Wiedergabe Hi-Fi-Qualität hat.
«Immer wenn ein normaler Mensch bewusst auf etwas achtet», sagt Penfield, «zeichnet er es gleichzeitig in den Schläfenlappen beider Hemisphären auf.»
Diese Aufzeichnungen finden fortlaufend und ununterbrochen statt.
«Wenn der Teil der Hirnrinde, wo das Gedächtnis lokalisiert ist, mittels der Elektrode erregt wird, kann ein Bild entstehen, doch das Bild ist im Allgemeinen nicht statisch. Es verändert sich wie damals, als es ursprünglich wahrgenommen wurde und der Beobachter vielleicht seine Blickrichtung gewechselt hat. Es folgt den ursprünglich empfangenen Eindrücken der folgenden Sekunden oder Minuten. Das Lied, das durch künstliche Reizung hervorgerufen wird, spielt sich langsam ab von einem Takt zum nächsten und von der Strophe zum Refrain.»
Penfield kommt weiter zu dem Schluss, dass
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