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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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der Schaufel und dem Singsang der Gebete.
    Oben über dem Schneegestöber stieg eine Wolke auf, eine Wolke, weiß wie Damast … eine Hand streckte sich nach ihm aus, die Hand seiner Mutter. »Majn ejgen klejner Jiddele!« Der Junge schämt sich und will sich losreißen, doch die Wolke wird weggeschoben, und seine Mutter umfängt ihn, drückt ihn an ihr Herz. »Majn schejner Jiddele!«
    Die Wolke zieht wieder zu, doch über dem Schneegestöber steigt eine andere Erinnerung auf, eine zweite Damastwolke. Das pummelige Knie seiner kleinen Schwester, ihre weißen Spitzensöckchen mit den Rüschen am Saum, die winzigen schwarzen Lackschuhe … die schweren Schritte … nicht Mama, nicht Tatta, nicht Florina. Die rostigen, rot glänzenden Zinken …
    Im Wald knackste ein Zweig. Ein torkelnder Landarbeiter, dessen Atem nach billigem Tuică stinkt? Ein Jude kann sich niemals verleugnen. Der Junge machte sich noch kleiner, zog den Kopf ein, bis seine Nase fast im modrigen Laub unterm Schnee versank.
    »Anghel! Anghel!« Florina. Gedämpft durch den dichten Schneefall drang ihre Stimme durch die Bäume.
    Anghel stand auf und stieg den Hügel hoch zum Bauernhaus, in dem Florina bereits die Küchenlampe angezündet hatte.
    *
    Als Zalman nach Hause kam, erzählte er Mila, dass er ihren Vater ordentlich begraben habe, damit seine Reise am Ende der Tage einfacher würde. Mila nahm die Nachricht schweigend entgegen, doch dann sprach sie Zalman zum ersten Mal direkt an.
    »Der Bauernjunge ist Jude. Sein Vater ist tot. Seine Mutter ist tot. Pearela ist tot.«
    »Barmherziger Herr! Was sagst du da? Wie heißt der Junge?«
    »Anghel.«
    »Anghel – was ist das denn für ein Name?«
    Zalman war schon mit achtzehn Jahren zum Rabbi ordiniert worden. Er konnte vertrackte Fragen des religiösen Gesetzes lösen und auch in schmerzhaft schwierigen Fällen urteilen. Was war zum Beispiel mit den Frauen, deren Ehemänner nicht aus den Lagern zurückkehrten, deren Tod aber niemand bezeugen konnte? Durften diese Frauen wieder heiraten?
    Auch Männer kamen mit ihren Nöten zu ihm. »Reb Zalman, meine Frau wurde gefangen genommen … man hat sie gezwungen … leider war sie …«
    »Bist du ein Kohen? Einem Juden von priesterlicher Abkunft ist es verboten, bei seiner Frau zu bleiben, selbst wenn sie sich gewehrt hat.«
    »Nein, nein! Ich bin kein Kohen! «
    »Und sie hat sich gewehrt?«
    »Ihre Schreie, Reb Zalman …«
    »Deine Frau hat sich also gewehrt, und es hat Zeugen gegeben. Dann ist die Sache klar: Deine Frau ist dir erlaubt.«
    Zalman konnte bestimmen, wer verboten und wer erlaubt war; er legte fest, ob jemand neu heiraten durfte oder ob er noch eine Weile warten musste. Doch als Mila behauptete, der Bauernjunge sei ein Jude, brauchte Zalman den Rat des Rebbe.
    *
    Manchmal kam der Jude vorbei. Er stand am Grab des Vaters des kleinen Mädchens und wiegte sich im Gebet. Anghel drehte lauschend den Kopf nach seiner Stimme. Die Zügel wurden lang, die Ochsen hielten an.
    Der Jude blickte aufs weite Feld hinaus, hin zu dem still stehenden Pflug.
    Der Junge zog die Zügel wieder an.
    Die Ochsen setzten sich in Bewegung, die Bodensoden drehten sich, ohne zu brechen, und hinter dem Pflug bildete sich eine neue Furche. Dampf stieg aus dem Fell der Tiere. Er war dichter als der Nebel, der bald alles umhüllte: die Ochsen, den Pflug und den Jungen.
    *
    Zalman musterte die Briefmarke und die großen Druckbuchstaben: U.S. POSTAGE . Sein Daumen fuhr über die mächtigen Flügel des Flugzeugs, dann steckte er den Brieföffner unter den Kniff des Umschlags und zog den dünnen Luftpostbrief heraus.
    Dank des Erbarmens des Ewigen wird der Rebbe bald in Amerika sicher sein.
    »Amerika?«
    Zalman erinnerte sich an die strengen Predigten des Rebbe: »Ihr dürft nicht weggehen. Bleibt in Rumänien, Ungarn und Polen, verlasst nicht die Länder, in denen unsere Traditionen überlebt haben und unsere Jeschiwas aufblühten; gebt nicht Thoraland für trejfene medine auf, für den amerikanischen Sündenpfuhl von Neuheit und Assimilation.«
    Der Rebbe wird wissen, was er tut, ermahnte sich Zalman. Er las weiter.
    Gershon Heller, möge er in Frieden ruhen, starb als Märtyrer auf dem Marktplatz von … Bei den sterblichen Überresten, die Sie beerdigt haben, muss es sich um die seinigen handeln. Der Herr wird Sie mit dem ewigen Leben belohnen …
    Was den Jungen angeht, besteht der Rebbe auf Folgendem: Versteckte Kinder aus gottesfürchtigem Elternhaus müssen unserem

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